Sudelbücher: Ausgesucht feine Texte mit Biss (German Edition)
war, fiel mir folgende Darstellung eines bekannten Gedankens von mir [ein]: Die Menschen gehen eigentlich nicht selbst in Gesellschaft, sondern sie schicken eine angekleidete Puppe statt ihrer hin, die sie auskleiden, wie sie wollen. Herr Richter lächelte dabei. [J 181]
Ein Pfaffe auf der Kanzel. Er war dick, breit, hatte einen kurzen Hals und sein Gesicht öfters unter einem Winkel von 45° aufwärts gerichtet, so dass er völlig einem geistlichen Controvers-Bomben-Mörser glich, zuweilen wurde sein Rücken fast horizontal, und da spie er, wie eine Drehbasse, Fluch, Freuden und Segen-Feuer durcheinander. [J 182]
Dieterich ist ein unversiegelter Brief. [J 185]
Eine desultorische Lektüre ist jederzeit mein größtes Vergnügen gewesen. [J 187]
Wenn sie auf dem Leihhause Menschen annähmen, so möchte ich wohl wissen, wie viel ich auf mich geborgt bekäme. So sind die Schuldtürme eigentlich Leihhäuser, in welchen man nicht sowohl auf Möbeln als auf die Besitzer selbst Geld leiht. [J 193]
Von Brunoi ließ ganze Tonnen Tinte in die Bassins seiner Fontänen schütten, zur Trauer, als sein Mutter starb. [J 201]
Er hieß dieses: mit stilltätiger Geduld abwarten. Dieses ist eine große Regel. Die Menschen ändern sich von selbst, wenn man sie nicht ausdrücklich ändern will, sondern ihnen nur unmerklich die Gelegenheit macht zu sehen und zu hören. Viele Unternehmungen misslingen bloß, weil man die Früchte davon noch gerne erleben wollte. [J 203]
Wie könnten am geschwindesten Briefe so kopiert werden, dass sie die Blinden mit den Fingern lesen könnten? [J 204]
Revision der Wege der Vorsicht. [J 205]
Was eigentlich den Schriftsteller für den Menschen ausmacht, ist, beständig zu sagen , was vorzüglichste Menschen, oder überhaupt der größte Teil denkt oder fühlt, ohne es zu wissen, die Mittelmäßigen sagen nur, was jeder würde gesagt haben. Hierin besteht ein großer Vorteil zumal der dramatischen und Romanen-Dichter. [J 207]
Wenn auch das Gehen auf 2 Beinen dem Menschen nicht natürlich ist, so ist es doch gewiss eine Erfindung, die ihm Ehre macht. [J 211]
Man erleichtert sich, habe ich irgendwo gelesen, die Betrachtungen über die Staaten, wenn man sie sich als einzelne Menschen gedenkt. Sie sind also auch Kinder, und solange sie dieses sind, mögen sie monarchisch am besten sein. Wenn aber die Kinder groß werden, so lassen sie sich nicht mehr so behandeln, denn sie werden alsdann wirklich nicht selten klüger als der Vater. [J 212]
Ich habe irgendwo gelesen: Die Christliche Moral wird überall Unterstützung und Supplement der Gesetze, dahingegen alles Übrige bei der Religion Unterstützung des Aberglaubens. [J 213]
Marivaux zu einem gesunden Bettler: Könnt ihr nicht arbeiten? Der Bettler: Ach, lieber Herr, wenn Sie wüssten, wie faul ich bin, Sie würden gewiss Mitleiden mit mir haben. Diese Aufrichtigkeit gefiel ihm, und er gab ihm etwas. [J 217]
Noch eine neue Religion einzuführen, die die Wirksamkeit der christlichen haben sollte, ist wohl unmöglich, deswegen bleibe man dabei und suche lieber darauf zu tragen, und gewiss sind auch die Ausdrücke Christi so beschaffen, dass man, solange die Welt steht, das Beste wird hineintragen können. [J 220]
Ich möchte wohl wissen, was es geben würde, wenn ganz Europa einmal recht erzkatholisch wäre, keine Protestanten, die lächelten und kluge Köpfe erweckten, und sich kein Pfaffe mehr zu schämen hätte, wenn alles so fortgegangen wäre wie vor einigen Jahrhunderten, so würde der Papst göttlich verehrt und sein Dreck nach Karaten geschätzt und verkauft worden sein, ja man hätte wohl gar die Bibel angefangen: Am Anfang schuf der Papst Himmel und Erden. [J 221]
Gott hat gesagt: Du sollst nicht stehlen, das wirkt besser als alle Demonstrationen von Schädlichkeit des Diebstahls, und Gott, er sei, wer er wolle, hat es ja auch gesagt, die Natur der Dinge, die dem Philosophen freilich respektabel ist, aber [dem] Pöbel nicht. Er versteht, was das sagt: Gott! aber keine Demonstration. Wenn ich also sage: Es gibt ein Wesen, das die Welt erschaffen hat, oder das die Welt ist, das die Tugend belohnt und das Laster bestraft, so ist ja das alles wahr, und wie kann ich dem Volke geschwinder Ehrfurcht gegen dieses Wesen beibringen, als wenn ich es ihm personifiziere? Man muss immer bedenken, was auch Necker gesagt [hat], unter dem Volk gibt es keine redliche Atheisten. Der Gelehrte wird durch andere Dinge im Zaum gehalten.
Weitere Kostenlose Bücher