Süden und das grüne Haar des Todes
Sie das, Herr Gabelsberger?«
»Babett war nie verheiratet«, sagte er und kniff die Augen zusammen und öffnete sie erst, als er aufhörte zu sprechen. »Wir kennen uns seit fünfzehn Jahren, und ich hab ihr zweimal einen Antrag gemacht. Sie hat abgelehnt. Ich hab sie gefragt, ob es einen anderen gibt in ihrem Leben .
Sie hat nicht Nein gesagt. Auch nicht Ja. Ich weiß aber, dass es da einen Mann gab, der ihr viel bedeutet haben muss. Sie hat ihn mal erwähnt, ich wollt sie ausfragen, aber das klappte nicht. Sie ist die personifizierte Verschwiegenheit. Wenn Sie die verhören, dann beißen Sie auf Titan.«
Er machte eine Pause, ohne sich zu bewegen. Ich stand schräg vor ihm, und er schaute aus den Schlitzen seiner Augen an mir vorbei zur Straße.
»Ich glaub, er hat ihr nach dem Krieg geholfen. Ja, das weiß ich, so viel hat sie zugegeben. In der schlimmen Zeit .
Hab ich Ihnen erzählt, wie wir uns kennen gelernt haben?«
»Ja«, sagte ich. »Im Dezernat.«
»Entschuldigung.«
Er schwieg. Der Regen prasselte auf unsere Schirme .
Trotzdem war es nicht kalt, fast mild .
»Im Krankenhaus hab ich ihr übrigens zum ersten Mal vorgelesen«, sagte Gabelsberger. »So fings an. Jetzt fällts mir wieder ein. Noch am selben Abend. Ich bin ja nicht weggegangen, ich hab gewartet. Hätt ja ein Herzinfarkt sein können. Hinterher hat der Arzt zu mir gesagt, das sei gut gewesen, dass ich nicht lang gezögert, sondern sie sofort in meinen Kombi verfrachtet und in die Klinik gebracht hab. Jetzt fällts mir wieder ein: Das Buch hat mir eine Schwester geliehen. Weil die Babett doch was vorgelesen bekommen wollt. Kaum war sie wieder einigermaßen wach, wollt sie, dass ihr jemand was vorliest. Sie liest so gern. Ich weiß nicht mehr, worums ging in dem Buch von der Schwester. Sie ist dann bald eingeschlafen, die Babett.«
Für einige Sekunden schloss er die Augen. Dann öffnete er sie und sah zu mir hoch .
»Wollen Sie nach dem Testament suchen?«
»Nein«, sagte ich. »Vielleicht kommt Frau Halmar noch heute zurück.«
Gabelsberger nickte lange und ließ sich vom gleichgültigen Regen ins Gesicht schlagen .
»Besitzen Sie ein Foto von Babette Halmar?«, sagte ich .
Und als habe er bereits auf die Frage gewartet, griff er hastig in die Innentasche seines Anoraks .
»Das ist das einzige«, sagte er und hielt die Hand schräg über das Foto, das kaum größer als ein Passfoto war. »Sie lässt sich nicht knipsen, immer schon. Das hier ist mindestens zwanzig Jahre alt, schwarzweiß, sie wollt es wegschmeißen, das war, kurz nachdem ich sie kennen gelernt hab. Ich konnts ihr abluchsen. Eigentlich hat sie sich wenig verändert seither.«
Ich sah ein unscheinbares Gesicht, große dunkle Augen, eine etwas flache Nase, helle, halblange Haare, ein eigenartiges, wie verstecktes Lächeln um die geschlossenen Lippen. Die Aufnahme wirkte verwaschen und verwackelt, das Papier hatte Risse.
Ich sagte: »Ist das ein Grübchen oder eine Narbe am Kinn?«
Ohne hinzusehen, sagte Gabelsberger: »Sie haben gute Augen. Das ist eine Narbe. Woher sie die hat, weiß ich nicht. Ich hab sie gefragt, sie hat gesagt, sie hätts vergessen. Verlieren Sie mein Andenken bitte nicht.«
2
N achdem wir Konstantin Gabelsberger zum Mietshaus an der Lindenstraße gebracht hatten, wo er wohnte und früher als Hausmeister tätig gewesen war, kehrten Martin Heuer und ich in einem Café ein, um zumindest unsere Jacken vorübergehend zu trocknen. Es war ein neues, in roten und braunen Tönen gehaltenes Café mit Kerzen auf den Tischen. Wir setzten uns an einen mit grünen Kacheln gefliesten runden Tisch im orientalisch anmutenden Nebenraum, der eher wie ein Laden für Kunden mit speziellen Einrichtungswünschen wirkte als wie ein Lokal. Und tatsächlich mussten wir unsere Getränke an der Theke selbst holen, da, wie uns die Bedienung erklärte, die Schanklizenz nur für den Eingangsbereich galt. Zum Kaffee bestellte ich ein Tramezzino mit Rucola und Martin zum Bier ein Panino mit Schinken. Unser gleichgültiger Blick auf die Teller in der Vitrine hatte sich sekundenschnell in einen Befehl an unsere Mägen verwandelt, die sofort, fast synchron, ein Geräusch von sich gaben.
»Frisch und lecker«, sagte lächelnd die junge Bedienung .
»Unbedingt«, sagte ich.
Eine Weile hörten wir in unseren Korbsesseln dem Getrommel des Regens auf dem Parkplatz zu und aßen. Ich sog den Duft des starken Kaffees ein, während Martin sein Glas leer trank und sich ein zweites
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