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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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erstes eigenes Geld bekommen habe. – Unter keinen Umständen durften sie merken, dass etwas passiert war. Ich habe ihnen gesagt, ich hätte Bauchschmerzen und mir wäre schwindlig und schlecht, und sie sagten, ich solle im Bett bleiben und mich auskurieren, sie würden derweil schon nicht im Dreck ersticken. Sie waren immer freundlich zu mir, später haben sie mich weiterempfohlen. Nach vier Tagen habe ich wieder gearbeitet, und am Wochenende, am Sonntag, fuhr ich mit dem Zug nach München und vom Hauptbahnhof aus mit der Tram zum Waldfriedhof. Dort habe ich mich nur verlaufen. Zwei Stunden bin ich im Kreis gegangen, obwohl ich mich vorher bei der Verwaltung erkundigt hatte, wo das Grab liegt. Ich musste sehr vorsichtig sein. Aber schließlich fand ich das Grab, und niemand war da. An dem kleinen Holzkreuz wehte ein schwarzer Schleier, zwei Kränze lagen auf dem Erdhügel und Laub. Es ist November gewesen und unfreundlich draußen. Ich habe mich trotzdem hingekniet auf ein Papiertaschentuch, das ich zum Glück dabeihatte, das habe ich auf dem feuchten Boden ausgebreitet .
    Dann habe ich die Hände gefaltet und mich bei meiner Mutter entschuldigt. Ich habe ihr gesagt, ich war in dem Haus, um Brot und Käse zu holen, und dann gab es einen Knall, und die Wände stürzten ein. Ich sprang aus einem Fenster, in dem keine Scheiben mehr waren, und bin weggerannt. Und nach ein paar Metern bin ich in ein tiefes Loch gefallen, wie in einen Krater, früher war da ein Haus gestanden, vor dem gewaltigen Feuer im April 1944. Und dort, das habe ich dir, Gabriel, mein Engel, am Anfang schon erzählt, waren die Kinder, die alle keine Eltern mehr hatten und die sich vor der Polizei versteckten. Wie ich von einem der Jungen die Adresse des leer stehendes Gasthauses bekommen habe und wie ich mich mit deiner Hilfe verstecken konnte, bis der Krieg endlich aus war und die Amerikaner uns befreit haben, das habe ich alles meiner Mutter berichtet. Und als ich aufgestanden bin, war mein Kleid voller Dreck, und ich hatte nicht bemerkt, dass es angefangen hatte zu regnen .
    Und dann ging mein Leben einfach weiter, Jahr um Jahr, und heute, an Heiligabend …
     
    »Ich hass dich so!«, schrie sie. Und ihre Stimme versagte .
    Und sie drückte ihr Gesicht ins Gras, rieb mit der Wange hin und her, bis sie grüne und schwarze Streifen hatte .
    Und dann machte sie es mit der anderen Wange genauso .
    Ich kniete mich neben sie. Aus ihrem Mund tropfte Spucke. Grasknäuel in den Fäusten, hob sie zitternd die Arme, wandte mir ihr blasses, teigiges, von Tränen aufgedunsenes Gesicht zu, öffnete den Mund und wollte etwas sagen. Es gelang ihr nur ein Röcheln. Ihr Kleid, ihre Arme und Beine waren voller Flecken und Abschürfungen, ihre Knie mussten aufgescheuert und blutig sein .
    Sehr langsam drehte sie die Hände und öffnete die Fäuste. Und der Wind fegte die Grashalme von ihren Handflächen. Ein paar blieben an Erd- und Blutflecken kleben.
    Sie beugte den Kopf zu mir. Und ich sah, dass sie den schwarzen Schleier über ihrem Dutt verloren hatte. »Verzeihen Sie«, sagte sie mit gebrechlicher Stimme. »Verzeihen Sie, dass ich so kindisch bin.«
    »Sie sind nicht kindisch«, sagte ich .
    In diesem Moment setzte sich ein Zitronenfalter auf ihre Schulter. Emmi Bregenz traute sich nicht, den Kopf zu wenden. Sie sah nur mich an, aus grabdunklen Augen .
    Auch ich bewegte mich nicht. Nach einer Weile, während die alte, gebückte Frau ihre Arme wie eine Priesterin ausgebreitet in der Luft hielt, schwebte der Schmetterling davon, ein geflügeltes Schmunzeln .
    Mit kalten krustigen Fingern griff Emmi Bregenz nach meiner Hand. »Bitte.« Ihre Stimme war kaum zu verstehen. »Wenn Sie Einblick in den Bericht von meiner Schwester kriegen, können Sie mir dann sagen, was drin steht? Bitte?«
    Ich verstand ihre Not, und dennoch sagte ich: »Ich werde den Bericht nicht bekommen. Ihre Schwester wollte es so.«
    Sie sah mich an. »Kennen Sie das Märchen vom Schlafgott?«
    Ich sagte: »Ich habe es inzwischen gelesen.«
    »Da gibts ein kleines Gedicht, das hat ein Mädchen an den Jungen geschrieben, den Hjalmar …«
     
    … Ich war das, ich habe gleich aufgelegt. Verzeih mir! Aber jetzt, da ich das alles aufgeschrieben und beschlossen habe, ein Testament zu machen, endlich, obwohl ich doch recht gesund bin, habe ich auf einmal das Bedürfnis, deine Stimme zu hören. Und ich gestehe, ich würde dich gern noch einmal sehen, heimlich, nach den vielen Jahren, die wir nicht

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