Süden und das grüne Haar des Todes
Beamtenbeute präsentierten .
Aber Verona Nickel war fünfzehn und fast noch ein Kind und ich einfach nur missgestimmt und total ungerecht.
Martin war verstummt.
»Wie viel Geld bekommst du von Frau Halmar?«, sagte ich plötzlich.
»Shit!«, stieß sie hervor und hackte mit dem Zeigefinger auf die Tastatur.
Ich sagte: »Hast du dich verschrieben?«
»Ich?«, sagte sie. »Ja.« Sie sah mich vom Sofa aus an, unwesentlich irritiert, wie mir schien .
Ich schwieg.
Martin stand auf, legte Block und Kugelschreiber auf den Stuhl und verließ wortlos das Zimmer. Beim Gehen raschelte seine Daunenjacke. Verona drehte kurz den Kopf in seine Richtung. Ich hörte, wie er die Haustür öffnete .
»Zehn Euro die Stunde?«, sagte ich.
»Was?« Verona hatte aufgehört zu tippen. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich werd nicht nach Stunden bezahlt . Wieso ist das wichtig?«
»Wenn du für sie einkaufst, wie viel kriegst du dann dafür?«
»Unterschiedlich.« Verwirrt oder genervt nahm sie das Handy in die andere Hand, drückte eine Taste und legte es neben sich. Wie um Lässigkeit zu demonstrieren, verschränkte sie die Arme und wippte zweimal im Schneidersitz auf und ab. Ihr Lächeln, zu dem sie ihre Lippen zwang, wirkte derart gekünstelt, dass mein Unmut sich augenblicklich in entspannte Neugier verwandelte .
»Es geht mich nichts an, wie viel Geld sie dir gibt«, sagte ich. »Mich interessieren deine Beobachtungen in der Wohnung.«
»Was für Beobachtungen?« Immer noch stand ich vor dem Fenster, im Rücken die unerschöpfliche Monotonie des Regens. Und allmählich kehrte ich in der Gegenwart dieses achten April ein wie in ein Gasthaus, das zu betreten ich mich bis jetzt geweigert hatte, weil es mir, dem unwirtlichen Wetter zum Trotz, genügte, durch die beschlagenen Fenster das Schauspiel der Akteure drinnen zu verfolgen. Nun wollte ich einer von ihnen sein .
Ich sagte: »Mit wem könnte sich Frau Halmar heimlich treffen, was meinst du, Verona?«
Für die Antwort benötigte sie ziemlich viel Zeit. Sie kratzte sich am Knie und verzog den Mund. »Kann ich nicht sagen.«
»Das ist alles nur eine Vermutung von dir.« Ich setzte mich Richtung Stuhl in Bewegung, die Hände hinter dem Rücken. Seit einigen Wochen spannte nicht nur der Bund an meinen vier Jeans, sondern auch der meiner schwarzen, an den Seiten geschnürten Lederhose, die ich im Dienst gewöhnlich zu einem weißen Baumwollhemd trug. Wenn ich an mir herunterschaute, senkte ich den Kopf jedes Mal absichtlich so tief, dass mir die Haare ins Gesicht fielen und mir den Blick versperrten. Bei einer Größe von einem Meter achtundsiebzig waren fast neunzig Kilo fern jedes Idealgewichts. Und nur wenn Sonja ihren Kopf auf meinen Bauch bettete, akzeptierte ich seine Existenz. Sämtliche Versuche, Diät zu halten, hatte mein Hunger spielend ignoriert. Und wer war ich, der Natur meines Hungers eine mentale Zwangsjacke überzustülpen?
»Ist ja noch nicht lang so«, sagte das Mädchen .
»Sie taucht erst seit kurzem unter?«
Diesmal formten ihre Lippen freiwillig ein Lächeln, und es verlieh ihrem blassen Gesicht einen Ausdruck kindlichen Übermuts.
»Ja, genau!« Sie wippte mit dem Oberkörper und lächelte weiter.
»Seit wann, Verona?«
»Seit …« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ungefähr seit einem Monat. Oder zwei.«
»Und wie bist du draufgekommen?«
»Ich hab sie telefonieren sehen.«
»Unterwegs«, sagte ich.
»Am Bahnhof. Und dann ist sie in ein Taxi gestiegen und weggefahren.« Sie nahm das Mobiltelefon in die Hand, strich mit dem Daumen über das Display und legte es wieder hin.
»Was war dein erster Gedanke, als du sie am Bahnhof gesehen hast?«, sagte ich und stützte mich mit beiden Händen auf die Stuhllehne. Vermutlich hatte sich Martin noch zu einer zweiten Zigarette entschieden. Oder er kam absichtlich nicht zurück, weil er erwartete, ich würde mehr aus dem Mädchen herausbringen als er. Vielleicht brachte er auch die Luft und den Regen zum Niederringen seiner Müdigkeit und als Ablenkung von den gläsernen Kobolden, die, wie er sagte, manchmal in seinen Eingeweiden wüteten, jedes Jahr ein wenig mehr .
»Dass sie ein Geheimnis hat«, sagte Verona .
»Und warum hast du das meinem Kollegen nicht erzählt?«
Ein wenig erschrocken setzte sie ein Bein auf den Boden und rieb mit der Hand über den Oberschenkel. »Ist mir grade erst wieder eingefallen.« Dann fügte sie hinzu:
»Entschuldigung.«
»Du langweilst dich«, sagte ich
Weitere Kostenlose Bücher