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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sollte.

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    I ch wollte allein sein. Mit einem Mal, nach der Nacht mit der verlogenen, betrunkenen, undurchschaubaren, weinenden Frau, hatte mich, als Martin Heuer und ich durch den kühlen Morgen zum Auto gingen, die Vorstellung heimgesucht, ich könne diesen Fall nur entflechten, indem ich so tat, als wäre die Wahrheit ausschließlich ein Teil meiner Identität und niemand anders könne sie erfassen und begreifen. Es war ein Moment maßloser Selbstüberschätzung gewesen, und ich kostete ihn auf dem Weg nach Laim noch immer aus. Natürlich hätte ich Martin mitgenommen, ich hätte ihn oder einen anderen Kollegen aus ermittlungstaktischen und möglicherweise juristischen Gründen mitnehmen müssen, aber da er sich entzog, empfand ich mich plötzlich als befreiten Ermittler, dessen Strategie unumstößlich war, für den die Erfahrungen und das technische Rüstzeug seines Berufes zu Rankenwerk wurden, als wäre ich ein Tiefseetaucher, der sein schweres Gerät nicht mehr wahrnimmt und bloß noch aus Schauen besteht.
    Beim Betreten von Torsten Kolbs schlecht gelüftetem Appartement gehörten die Regeln des Sach und Personenbeweises schon nicht mehr zu meinem System, die Antworten auf die klassischen W-Fragen – wer, was, wann, wo, wie lange – interessierten mich so wenig wie die üblichen Leer-, Anstoß-, Sondierungs und Auswahlfragen, und ich bildete mir ein, eine der Grundvoraussetzungen für gerichtsverwertbare Vernehmungen als verkehrt entlarven zu müssen: die innere Distanz. In diesem Zimmer mit dem breiten Messingbett in der Ecke, der Couch aus billigem Leder und dem vorhanglosen, schmutzigen Fenster wollte ich nicht zu einem Taucher werden, der aus Schauen besteht, ich wollte das Meer sein. Und niemand hinderte mich daran.
    »Es ist wirklich ungünstig heut«, sagte Torsten Kolb. Er war zweiunddreißig Jahre alt, hatte extrem kurz geschnittene Haare, einen Schnurrbart und einen silbernen Knopf im Ohr. Er trug ein olivgrünes Sweatshirt über bunt gemusterten Boxershorts. Er war barfuß und roch nach Schweiß und Alkohol. Er fläzte sich auf die Couch, zündete sich eine Zigarette an und starrte zum Fenster. Die Wohnung lag im ersten Stock zur Straße hin.
    »Sie meinen, es ist ungünstig, dass Ihre Tochter ausgerechnet heute, am Samstag, verschwunden ist«, sagte ich. Er inhalierte und legte die Beine auf den viereckigen schwarzen Holztisch vor der Couch.
    Weder in der schmalen Küche, die in den Raum integriert war, abgeteilt durch eine niedrige Schrankwand, noch im Zimmer lagen oder standen Dinge, die darauf hätten schließen lassen, dass jemand hier regelmäßig ein und aus ging oder sogar wohnte. Kein Geschirr, keine Zeitungen, keine Pflanzen, keine Möbel außer dem Bett, der Couch und dem quadratischen Tisch, nicht einmal ein Stuhl. Es gab nicht nur keine Vorhänge, auch keine ordentlichen Lampen; zwei Glühbirnen hingen an einem Haken an der Decke. Neben dem Bett entdeckte ich Kolbs Klamotten, Hose, Pullover, Socken, außerdem ein zusammengeknülltes Handtuch und eine halb volle Packung Papiertaschentücher. Neben dem Eingang war eine Tür, dahinter befanden sich vermutlich das Bad und die Toilette. Die Tür war angelehnt, und ich bildete mir ein, einen muffigen Geruch wahrzunehmen.
    Vom ersten Augenblick an widerten mich das Zimmer und der Mann an.
    Ich schwieg.
    Er sah mich müde an, rauchte, beugte sich vor, zog unter der Couch einen Teller hervor, der voller Asche und Kippen war, und drückte seine Zigarette aus. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust, so wie ich, und versuchte, so wie ich zu schweigen. Aber er schaffte es nur eine halbe Minute.
    »He!«, sagte er und wartete vergeblich auf eine Reaktion von mir. »Mein Sohn hat mich angerufen, er hat mir alles gesagt. Ich weiß nicht, wo die Kleine ist.«
    Ich schwieg.
    Er grinste, sprang auf, kam auf mich zu, den Blick fest auf mich gerichtet, als wolle er mich über den Haufen rennen. Einen knappen Meter vor mir bog er ab, stapfte zum Bett und tastete unter dem Laken herum, ohne es zur Seite zu schlagen. Wie einen großen Fund hielt er sein schwarzes Handy in die Höhe.
    Weniger als einen Meter von mir entfernt blieb er stehen.
    »Für die Kleine ist die Mutter zuständig«, sagte er. »Ich nicht. Die Mutter hat die Verantwortung. Ich nicht.«
    Ich roch seine Fahne, die Ausdünstungen seines fleckigen Sweatshirts. Je länger er mir in die Augen sah, desto mehr hielt ich es für möglich, dass seine Blicke anfingen zu

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