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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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verlangte, mit seiner Frau zu sprechen, und zwar persönlich. Mein Kollege Paul Weber, in dessen Dienstzimmer er saß, erlaubte ihm jedoch nur ein Telefongespräch mit ihr.
    Ich hatte es nicht eilig, ihn zu vernehmen. Vielleicht ergaben sich erste Hinweise bei den Ermittlungen der Soko, die ich dabei gebrauchen konnte. Der Hauptgrund, warum ich mich nicht sofort mit ihm beschäftigte, aber war, dass ich darauf hoffte, er würde ausrasten und mir so eine Handhabe bieten, ihn achtundvierzig Stunden festzuhalten. Es war keine bewusste Hoffnung, und ich weigerte mich, darüber nachzudenken, da war nur dieses Grollen in mir, wie das Nahen einer Lawine.
    Beginn der Vernehmung: zwölf Uhr fünfzig.
    Anwesend: die Zeugin Ilona Karge (einunddreißig Jahre alt, verheiratet mit Ewald Karge, wohnhaft Josephinenstraße acht, München), Hauptkommissar Tabor Süden, Schreibkraft Erika Haberl. Die Zeugin hat ihre Tochter Angela mitgebracht.
    »Kommt es vor, dass Nastassjas Vater seine Tochter bei Ihnen abholt, Frau Karge?«
    »Ich kann mich nicht erinnern. Wenn, dann schon lang nicht mehr. Nein. Hast du Nastassjas Vater in letzter Zeit gesehen, Schatz?«
    Anmerkung: Die sechsjährige Angela sitzt neben ihrer Mutter am Tisch und malt mit Buntstiften in einen Block. Als sie nach Torsten Kolb gefragt wird, schüttelt sie nur den Kopf.
    »Nein, der hält sich fern von seiner Familie.«
    »Warum?«
    »Sie sind getrennt, Medy und er. Mit ihren Eltern hat er sich sowieso nie verstanden. Die mögen ihn nicht. Der ist denen zu ungebildet. Obwohl er ja Filialleiter ist, oder wie das heißt in seiner Branche.«
    »Die Eltern von Medy Kolb sind Lehrer.«
    »Ja. Nur ein Lehrer kann auf so einen Namen wie Matrimonia kommen. Dass so ein Name überhaupt erlaubt ist!«
    »Kennen Sie die Eltern?«
    »Ich hab sie mal gesehen, als sie Medy besucht haben. Ist auch schon wieder ein paar Jahre her. Da war die Nastassja noch ganz klein.«
    »Die ist immer noch ganz klein.«
    »Nicht alle Kinder wachsen so schnell wie du, mein Schatz.«
    »Ich schon!«
    »Beschreiben Sie bitte das Verhältnis zwischen Nastassja und ihren Eltern.«
    »Sie treiben mich in die Enge. Ich kenn die Medy schon recht lang, ich mag sie auch, und die Angela darf auch manchmal bei ihr sein, Medy passt dann auf die beiden Kinder auf, wenn ich beim Sport bin oder mich mal mit einer Freundin in der Stadt treffe. Die Medy ist wirklich nett. Aber sie ist halt mit den beiden Kindern praktisch allein. Sie ist den ganzen Tag Mutter, sie hat keine Zeit mehr für Sport, sie geht nicht mehr ins Kino, sie hängt fest…«
    »Sie ist ganz dick geworden!«
    »So was sagt man nicht, sie hat ein wenig zugenommen, das passiert schon mal, das ist nicht schlimm.«
    »Und sie sperrt die Nastassja ein!«
    Anmerkung: HK Süden weist die Zeugin Karge darauf hin, dass sie das Recht habe, sich mit ihrer Tochter abzusprechen und diese gegebenenfalls zu bitten, nichts zu sagen. Angelas Aussagen werden protokolliert, Fragen der Glaubwürdigkeit werden möglicherweise in einer gesondert angesetzten Vernehmung des Kindes geklärt. Die Mutter hat das Recht, zu jeder Bemerkung ihres Kindes Stellung zu nehmen.
    »Wo sperrt sie Nastassja ein?«
    Anmerkung: Das Mädchen presst die Lippen zusammen und malt weiter Häuser, Berge und krakelige Gestalten.
    »Angela meint, dass Medy die Kleine manchmal nicht raus zum Spielen lässt. Stimmts?«
    Anmerkung: Angela nickt.
    »Warum darf sie nicht spielen?«
    »Ich vermute, weil Medy einfach Angst um sie hat. Weil sie so viel mit dem Jungen zu tun hat, wie ich schon gesagt hab, sie ist überfordert.«
    »Das haben Sie noch nicht gesagt.«
    »Aber gemeint hab ichs. Fabian ist ein verschlossener Typ, hat wenig Freunde, hängt viel zu Hause rum, mehr als seine Altersgenossen. Ich glaub, manchmal war die Medy gern mal allein, ganz allein. Um mal durchzuatmen, um mal keine Stimmen zu hören, kein Geschrei, keine Fragerei, keine Musik. Nur allein. Ganz still. Sie lernen das schätzen, wenn Sie Kinder haben. Haben Sie Kinder?«
    »Nein. Ist es richtig, dass Torsten Kolb kein zweites Kind wollte, im Gegensatz zu seiner Frau?«
    Anmerkung: Die Zeugin lässt sich viel Zeit mit der Antwort. Sie sieht ihrer Tochter beim Malen zu, sie scheint abzuwägen, was sie sagen soll.
    »Ich glaub, das ist richtig.«
    »War die Geburt der Tochter der Grund für die Trennung?«
    »Das war… Jetzt hätt ich beinah was gesagt.«
    »Sagen Sie es.«
    »Nein.«
    »Nastassjas Geburt war eine Art Dolchstoß

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