Süden und das verkehrte Kind
auf den am Boden liegenden Martin Heuer einschrien, obwohl Sie sahen, wie schwer verletzt er war und dass er dringend ärztliche Hilfe benötigt hätte?«
Ich ließ die Arme fallen, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
»Das trifft zu«, sagte ich. »Ich habe meinen besten Freund krankenhausreif geprügelt, ich habe ihn geschlagen und angeschrien.«
»Warum haben Sie das getan?«, fragte Vester.
Mit geschlossenen Augen, den Kopf im Nacken, sagte ich: »Weil er es verdient hatte.«
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B ekleidung: blaue Jeanshose mit künstlich eingefärbten Flecken und ausgestellten Beinen, grüner Pullover mit silbernen Sternen, rote Jeansjacke mit weißem Kunstpelzkragen und der Aufschrift »Superstar«, blassblaue Turnschuhe mit Klettverschluss Haare: dunkelbraun, mittellang, durchsetzt von geflochtenen Rastazöpfchen Figur: schlank Augenfarbe: braun Größe: 129 Zentimeter Alter: 6 Jahre Geschlecht: weiblich Nationalität: deutsch Sprache / Dialekt: Deutsch Besondere Merkmale: an der linken Schläfe eine 1,5 Zentimeter lange Narbe Weitere Informationen: Nastassja neigt dazu, fremde Leute auf der Straße anzusprechen und sie zu fragen, wohin sie gehen. Sie hat ein offenes freundliches Wesen.
Fragen: Wer hat Nastassja Kolb seit dem Abend des 4. April gesehen? Wer kann Angaben über ihren derzeitigen Aufenthalt machen? Wer hat ungewöhnliche Beobachtungen in der Münchner Josephinenstraße beziehungsweise auf der Prinz-Ludwigshöhe gemacht?
Sachverhalt: Seit Freitagabend, 5. April, wird die 6-jährige Nastassja Kolb aus München vermisst. Das Mädchen verließ ihr Elternhaus in der Josephinenstraße 8 gegen 17.30 Uhr. Möglicherweise wirkte sie zornig und hatte es eilig. Vorausgegangen war ein Streit mit ihrer Mutter. Nach Aussagen ihres 13 Jahre alten Bruders Fabian, der sie vom Fenster aus noch gesehen hat, lief das Mädchen die Josephinenstraße hinunter in Richtung Ludwigshöher Straße.
Zuständige Dienststelle: Kriminalkommissariat 114, Dezernat 11, Bayerstraße Sachbearbeiter: Tabor Süden Wie bei jeder Vermissung, die wir ernst nehmen mussten, begann die Fahndung mit dem Ausfüllen von Formularen, die wir per Fax an verschiedene Dienststellen schickten, während der Kollege Wieland Korn beim Landeskriminalamt die Daten ins INPOL-System eingab, von wo aus diese über Nacht mit der VERMIT/UTOT- Datei des BKA vernetzt wurden, um sie mit Informationen über Vermisste und unbekannte Tote abzugleichen. Parallel dazu erhielten ausgewählte Inspektionen vom LKA Fernschreiben, die wesentliche Details über die verschwundene Person enthielten. Beim Verdacht auf ein Verbrechen schalteten wir die Öffentlichkeit ein, in Fällen von Kindsvermissungen, sofern es sich nicht um Streuner und polizeibekannte Ausreißer handelte, banden wir so früh wie möglich die Medien mit ein, nicht nur, damit sie uns bei der Suche unterstützten, sondern auch aus Gründen des Selbstschutzes: Je offener und direkter wir mit der Presse umgingen, desto ungestörter konnten wir unsere Arbeit verrichten, ohne über jeden Schritt der Fahndung extra Auskunft geben zu müssen.
Darüber hinaus klebten wir Plakate an U- und S-Bahnhaltestellen, in die Nähe von Jugend-, Einkaufs und Vergnügungszentren, verteilten Laufzettel und Postwurfsendungen, durchsuchten vor allem die nähere Umgebung des Kindes, Keller, Speicher, Garage, das Grundstück sowie seine Lieblingsplätze, schickten Streifenbeamte zu Friedhöfen, wo sich weggelaufene Kinder oft versteckten, und überprüften so viele Freundschaften, Bekanntschaften und familiäre Verbindungen wie möglich. Sämtlichen Krankenhäusern und ambulanten Diensten, den Leitstellen der Verkehrsbetriebe und den Taxizentralen übersandten wir Fotos des Kindes und Beschreibungen von Kleidung, Aussehen und Verhaltensmerkmalen.
Manchmal beschäftigten sich von Anfang an rund sechzig Kollegen mit dem Fall, nach Einrichtung einer Besonderen Aufbauorganisation, einer BAO, die schließlich in eine Sonderkommission überging, waren es oft an die hundert Kriminalisten, die rund um die Uhr Befragungen durchführten, Spuren und Hinweise aus der Bevölkerung überprüften, die üblichen Wege des Kindes wieder und wieder abfuhren, Personen im Ausland aufstöberten, die in einer Verbindung zum Kind standen. Zu Hilfe kamen uns außerdem sowohl polizeiinterne als auch externe Psychologen und Rechtsmediziner sowie Spezialisten der Operativen Fallanalyse aus dem Präsidium oder dem BKA.
Das plötzliche,
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