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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Strohhut aufgesetzt und sein himmelblaues Hemd angezogen.« Sie machte eine Pause, dann sah sie zu mir hoch. »So läuft er sonst nur im Urlaub rum. Er sieht dann ein wenig aus wie ein Künstler, das behauptet er, und das gefällt den Frauen, ich hab gesehen, wie sie ihm Blicke zugeworfen haben.«
    »Die Frauen in Meran«, sagte ich.
    »Die Touristinnen.«
    »Wäre Ihr Mann gern Künstler geworden?«, sagte ich. Ihre Lippen zuckten, aber diesmal scheiterten sie an der Konstruktion eines Lächelns.
    »Warum setzt er den Strohhut nicht öfter auf?«, sagte ich. »Der wäre doch angenehm bei dieser Hitze.«
    »Mein Mann verträgt die Hitze gut.«
    »Haben Sie ihm das blaue Hemd geschenkt?«
    »Möchten Sie was essen?«, sagte Olga Korbinian. Ich sagte: »Was denn?«
    »Ich hab Fleischpflanzerl und Gurkensalat im Kühlschrank.«
    »Ihr Mittagessen«, sagte ich.
    »Ich ess nicht gern allein«, sagte sie. »Oder sind Sie Vegetarier?«
    »Nein«, sagte ich.
    Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und ging hinaus.
    »Hats Ihnen geschmeckt?«, fragte sie, nachdem ich zwei meilensteinverdächtige Pflanzerl mit einem Durchmesser von ungefähr zehn Zentimetern und einen Hügel Gurkensalat in meinem staunenden Magen verstaut hatte.
    »Unbedingt«, sagte ich.
    Wäre in diesem Moment Cölestin Korbinian nach Hause zurückgekehrt, hätte ich mich womöglich für meinen mit jedem Bissen sich lüsterner gebärenden Hunger geniert.
    »Frühlingszwiebeln, Knoblauch und…« Sie betrachtete ihren Teller mit den Resten des Salats und des Fleisches, sie hatte deutlich weniger gegessen als ich.
    »… Ingwer!«
    »Ingwer«, sagte ich. Dann schwiegen wir.
    »Und ich nehm auch keine normale Semmel«, sagte sie dann, weiter über den Teller gebeugt, den sie jetzt mit beiden Daumen und Zeigefingern festhielt. Aber ich hatte gar nicht die Absicht, ihn wegzuziehen und ihre Reste auch noch zu essen.
    Weil ich nichts erwiderte, warf sie mir einen Blick zu.
    »Ich nehm eine Laugensemmel, die weich ich zwei Stunden ein.«
    Ich sagte: »Es war sehr gut, vielen Dank.«
    »Kochen Sie?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Kocht Ihre Frau?«
    »Ich bin nicht verheiratet.«
    Sie nickte, schob meinen leeren Teller unter ihren und trug das Geschirr hinaus. Nach einiger Zeit, nachdem kein Klappern mehr und auch sonst keine Geräusche aus der Küche zu hören waren, ging ich hinüber.
    Unterhalb des schmalen Fensters saß Olga Korbinian auf dem Boden, umklammerte ihre Beine, die sie an den Körper gezogen hatte, und rieb ihre Wange auf den Knien, unaufhörlich, mit einer zärtlich anmutenden Bewegung ihres schiefen Kopfes, wie eine Katze, die ihre Besitzerin liebkost. Den Blick starr auf die weißen Schränke gerichtet, schreckte sie aus ihrer Abwesenheit erst auf, als ich leise gegen den Türrahmen klopfte. Sofort streckte Olga die Beine und strich sich den Rock glatt. In der Entfernung zwischen uns zerbröselte ihr Blick, und ich fürchtete plötzlich, in dieser Wohnung würde es nie wieder zwischen zwei Menschen eine Mahlzeit aus Schauen geben.
    Bis zum Postamt, das zusätzlich als Schreibwarenladen fungierte, brauchte ich eine knappe halbe Stunde, weil ich alle fünf Meter stehen blieb und mir versuchte vorzustellen, wie Cölestin Korbinian diesen Weg jeden Tag gegangen war, vermutlich immer auf derselben Straßenseite, möglicherweise auf der linken, um erst im letzten Moment die Fahrbahn zu überqueren, nicht ohne die Tram abzuwarten, die pünktlich über die Isarbrücke oder aus der entgegengesetzten Richtung kam. Und bevor er die Vorhalle betrat, kaufte er sich in dem Geschäft nebenan eine Zeitung, redete mit dem Inhaber und ging dann durch die Glastür, die ein Kollege kurz zuvor aufgesperrt hatte.
    »Er kann sie auch selber aufgesperrt haben«, sagte Martin Heuer, mit dem ich mich am Kiosk auf der Nordseite der Reichenbachbrücke verabredet hatte, zwei Minuten vom Postamt entfernt.
    »Nein«, sagte ich.
    »Wenn dus so willst«, sagte Martin. Mit einem leicht griesgrämigen Gesichtsausdruck leckte er an der ersten der zwei Eistüten, die er pro Jahr verzehrte, und auch nur deshalb, weil er keine Lust hatte, Mineralwasser zu trinken, so wie ich.
    Martin trank Bier, Kaffee und in kritischen Gesundheitsmomenten Cola, allerdings gemischt mit etwas Substantiellem.
    »Was ist?«, sagte er.
    Wenn ich ihm zusah, wie er das Eis – natürlich kein italienisches in Kugeln, sondern ein abgepacktes – mit züngelnder Zunge hastig in den Mund schob, kam er mir abwechselnd

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