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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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»Ich muss euch was sagen… Ich hätt es schon längst getan, ich hatt immer Angst deswegen. Ich hab immer aufgepasst, ob er Andeutungen macht. Hat er nicht. Hab keine gehört. Aber ich kann sie auch überhört haben. Wenn er sich umgebracht hat… wenn er… Dann wär doch der ganze Plan… Verstehst du?«
    »Ja«, sagte ich. »Er hätte dich dann belogen.«
    »Und das hätt er eben nie gemacht!«, sagte Edward laut. Wir schauten hinaus zu den Gleisen, wo die Züge bereit standen, weiße, rote, blaue Waggons. Leute zogen Koffer hinter sich her, andere lasen Zeitung an einem Kiosk, die Stimme der Ansagerin, die aus den Lautsprechern schallte, klang etwas rau.
    »Überleg nochmal!«, sagte ich. »Erinnerst du dich an einen Platz, an dem sich Aladin gern und oft aufgehalten hat, vielleicht eine Kirche, oder eine Brücke, etwas anderes als eine Kneipe.«
    »Wir haben oft telefoniert, aber ich weiß nichts«, sagte Edward. »Gebt ihr sein Bild in die Zeitung?«
    »Möglich«, sagte Martin.
    »Später rufen wir bei ein paar sozialen Diensten an«, sagte ich. »Vielleicht ist er dort aufgetaucht, wir sind erst am Anfang unserer Ermittlungen.«
    Wie arm das klang, wie naiv! Und doch war es wahr.
    »Du hast mich heut Nacht wegen dem Essen gefragt«, sagte Edward. »Hat er bei seiner Genoveva nichts zu essen gekriegt? Hab ich nicht kapiert.«
    »Die Bemerkung eines Zeugen«, sagte ich.
    »Was für ein Zeuge?«
    »Jemand, den wir befragt haben.« Ich erwog, ins Dezernat zu gehen, das nur zwei Minuten von hier entfernt war, entschied mich dann aber, dort anzurufen. Ich wollte draußen sein, unterwegs, in Bewegung. Von einem Telefon auf der Empore, wo sich ein Café, ein Kleiderladen und ein Burgerlokal befanden, rief ich Paul Weber an, der gerade seinen Bereitschaftsdienst beendete.
    »Wie gehts dir?«, sagte ich.
    »Drei verirrte Männer«, sagte er. »Vier Frauen, die plötzlich von ihren Ehemännern vermisst werden. Ja, und dein Freund Bogdan hat angerufen. Er wollte dich sprechen.«
    Ich war ziemlich überrascht. Pauls Mitteilung berührte mich eigenartig.
    »Was wollte er?«
    »Er wollte dir sagen, er freut sich, dass es dir gelungen ist, die beiden Kinder wohlbehalten zu finden.«
    Bei der Vermissung eines neunjährigen Jungen und eines zehnjährigen Mädchens hatte ich den Sandler als Zeugen vernommen, in manchen seiner Gesten erinnerte er mich so intensiv an meinen Vater, dass ich mir wünschte, ihn wiederzutreffen, einfach um ihm zuzuschauen. Doch am Ostbahnhof, wo er sich bis dahin gewöhnlich herumgetrieben hatte, tauchte er nicht wieder auf, niemand hatte ihn nach unserem Gespräch gesehen, man hätte meinen können, unsere Begegnung sei die Ursache für sein Verschwinden gewesen.
    »Die Kollegen in Pasing haben ihn aufgegriffen«, sagte Weber. »Sie wollten ihn mitnehmen und in die Ausnüchterungszelle stecken, aber er nannte so oft deinen Namen, bis sie im Dezernat anriefen. Ich sagte, sie sollen ihn gehen lassen, und das haben sie dann auch getan.«
    »Merkwürdig«, sagte ich.
    »Und bei euch? Habt ihr eine Spur.«
    »Ja«, sagte ich und berichtete ihm, wie wir Edward Loos gefunden hatten und dass wir nun auf der Suche nach dessen Halbbruder waren.
    Ich sagte: »Wie heißt der Verein, der Obdachlose und alte Leute mit Essen versorgt?«
    »Münchner Tafel«, sagte Weber.
    »Wo kann ich die erreichen?«
    »Wo bist du?«, fragte er.
    »Am Hauptbahnhof.«
    »Verstehe«, sagte Weber. »Du hast wieder eine Büroallergie.«
    Als ich in der Vermisstenstelle anfing, wies er mich, wie später auch Martin, in die Arbeit ein, und wenn wir nachts gemeinsam Dienst hatten, erzählte er von seiner Frau Elfriede, die er kennen gelernt hatte, als er noch auf Streife ging, und die ihn dazu brachte, die Uniform auszuziehen und in den gehobenen Dienst zu wechseln. Seit Elfriedes Tod bewohnte Paul Weber eine Einsamkeit, an die er sich nur langsam gewöhnte und die er versuchte, mit Nachtschichten leichter zu ertragen. Aus dem Internet suchte er mir einen Namen und die Adresse der Münchner Tafel heraus.
    »Soll ich für dich noch zu INPOL?«, fragte er.
    »Nein«, sagte ich. »Ich komme später ins Büro.«
    Wir verabschiedeten uns, und es gelang mir, Edward zu überreden, in seine Pension zurückzukehren und sich hinzulegen.
    »Ruf mich ja an!«, sagte er in der Türkenstraße zu mir.
    »Natürlich«, sagte ich.
    Ausnahmsweise saß Martin auf dem Rücksitz, eingehüllt in seine türkisfarbene Daunenjacke, mit grauem Gesicht,

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