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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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erschöpft und wach zugleich, ähnlich wie ich.
    »Wohin jetzt?«, fragte er.
    Ich sagte: »Vielleicht zeigt uns der heilige Sebastian den Weg.«
    »Hoffentlich ist der schon wach um diese Zeit«, sagte Martin.
    Ob der heilige Sebastian schon aufgestanden war, konnten wir nicht beurteilen, seine Helferinnen jedenfalls waren um sechs Uhr morgens vollkommen munter. Im Eingangsbereich des Pfarramts St. Sebastian an der Karl-Theodor-Straße bereiteten fünf Frauen ein Frühstück vor, das aussah, als wäre es zugleich ein Mittag und Abendessen. Auf zwei langen Bänken reihten sich Obstkisten mit Tomaten, Gurken, Bananen, Äpfeln, Brot und Käse aneinander, dazwischen Thermoskannen, Tassen und Teller, Löffel, Messer und Gabeln aus Plastik, Servietten, Stofftaschentücher, ein paar Handschuhe und Mützen aus Wolle, und unter den Bänken Waschkörbe mit eingeschweißten Würsten, Joghurtbechern und anderen Lebensmitteln. Es roch nach starkem Kaffee. Auf einem Extratisch schmierten zwei ältere Frauen Butter und Honig auf Brote, und als sie Martin und mich bemerkten, reichte eine von ihnen uns eine Schnitte.
    »Nein danke«, sagte ich.
    »Aber warum sind Sie dann hier?«, sagte sie mit einem Lächeln.
    Ich sagte: »Ich bin…«
    Da streckte Martin die Hand aus und nahm das Brot.
    »Vielen Dank«, sagte er, und ich sah ihm zu, wie er aß, hungrig und ganz selbstverständlich, und ich beneidete ihn darum.
    »Sie nicht?«, sagte die Frau.
    »Nein«, sagte ich. »Ich suche Lina Walter.«
    »Die steht da drüben.« Sie zeigte auf eine Frau in einem beigen Anorak und mit einer Pelzmütze. Ich ging hin, und Martin blieb noch bei den beiden anderen Frauen, bestimmt boten sie ihm gleich einen Kaffee an, und er konnte ihn gebrauchen.
    »Polizei«, sagte Lina Walter, nachdem ich ihr meinen Ausweis gezeigt hatte. »So früh am Morgen. Ist was Schlimmes passiert?« Aus einer Holzkiste sortierte sie angefaulte Tomaten aus und warf sie in eine Plastikschüssel. »Daraus machen wir Suppe.«
    »Kennen Sie diesen Mann?« Ich zeigte ihr das Foto von Aladin Toulouse.
    Bevor sie es nahm, hauchte sie ihre Hände an. »Der Aladin! Den kennen wir alle. Wo ist er? Ich vermiss ihn schon eine Weile.«
    »Wir vermissen ihn auch«, sagte ich. »Er ist verschwunden. Können Sie sich erinnern, wann er das letzte Mal bei Ihnen war?«
    »Einen Moment.« Sie gab mir das Foto zurück. »Lisl! Komm mal!«
    An einem Tisch in der Ecke, der mir bisher nicht aufgefallen war, rührte eine Frau in einem auf einer elektrischen Platte stehenden Suppentopf. Sie legte den Kochlöffel auf einen Teller, deckte den Topf zu und kam zu uns.
    Ich stellte mich vor. Sie sagte: »Schäfer, Elisabeth.«
    »Wann hast du den Aladin zum letzten Mal gesehen, Lisl?«, fragte Lina Walter.
    Lisl, die ein paar Jahre älter zu sein schien als ihre Freundin, Ende fünfzig, trug graue Stoffhandschuhe und rieb die Knöchel aneinander. »Den Aladin… Im Januar. Ja, an Dreikönig, am Jakobsplatz, ich erinner mich, weil da hats so geschneit, und der Aladin hat uns geholfen, den Schnee wegzuschaufeln und er hat Kies gestreut. Das war an Dreikönig.«
    »Am Jakobsplatz«, sagte ich.
    »Wir fahren mit Bussen verschiedene Stationen an«, sagte Lina Walter. »Sechzehn insgesamt, damit uns die Leute halt gut erreichen können. Da verteilen wir die Lebensmittel. Wo war ich an Dreikönig? Richtig, in der Fürstenrieder Straße. Der Aladin, der ist Stammgast bei uns.«
    »Ist ihm was zugestoßen?«, sagte Lisl Schäfer.
    »Können Sie sich erklären, warum er nicht mehr zu Ihnen kommt?«, sagte ich.
    »Nein«, sagte Lina Walter. »Und der ist immer gekommen, das ganze Jahr über, das war mal ein berühmter Fußballspieler, und jetzt ist er so am Ende. Aber wir haben auch Rechtsanwälte, Doktoren, Studierte, viele Frauen, die was gelernt haben, das sind hier nicht nur die klassischen Obdachlosen, das ist ja das Schlimme, dass in einer Stadt wie München so viel Armut ist, und keiner siehts.«
    »Sie sehen es«, sagte ich.
    »Ja, wir«, sagte Lina Walter. »Aber wir haben keinen Einfluss, wir können immer bloß reagieren. Wenn die Leute zu uns kommen, sind sie bereits arm. Dann ist es schon zu spät.«
    »Nein«, sagte Lisl Schäfer. »Zu spät ists nie.«
    »Das ist wahr«, sagte Lina Walter. »Zu spät ists nie. Aber der Aladin, ist er vielleicht im Krankenhaus?«
    Nachdem wir bei Mildred Loos gewesen waren, hatte ich vom Auto aus meine junge Kollegin Freya Epp gebeten, in den städtischen Kliniken

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