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Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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ich fühl, was anderes.
    Was fühlte er überhaupt? Ich hab einen Scheißhangover.
    Wieder erinnerte er sich an die Frau, die er gestern Abend nach Hause begleitet hatte. Und an das schäbige Treppenhaus mit den Holzstufen, auf denen er beinah gestolpert wäre.
    In der schlecht beleuchteten Wohnung mit den kahlen Wänden war er erregt und zugleich abgestoßen gewesen. Ich bleib da und warte, was sie macht. Ich muss hier raus, ich brauch jetzt keine Frau. Schon gar keine betrunkene. Die Tatsache, dass er ihr nachgelaufen war und ein Taxi angehalten hatte, erschien ihm ebenso logisch wie abstrus. Vor ihrem Haus hatte er dann die Orientierung verloren und nicht mehr gewusst, aus welcher Richtung er gekommen war. Erst in dem Lokal gegenüber, wo er einen Wodka getrunken hatte, war es ihm gelungen, den Weg zu rekonstruieren.
    »Schmeckt nicht?« Klang die Stimme des Kellners gehässig?
    Schilff legte fünf Mark auf den Tisch. Und verließ das Lokal.
    »Alles kaputt«, sagte er. Und blieb neben der »Kapitol-Bar« stehen.
    »Darauf kannst du einen lassen, Alter«, sagte jemand neben ihm. Schilff drehte den Kopf.
    Ein dürrer Kerl in einem abgewetzten Mantel fuchtelte wirr mit einer Bierdose. Seine Augen waren groß. Und rot. Sein verzerrtes Gesicht wirkte fettig. Schilff hätte sich nicht gewundert, wenn Fliegen darauf geklebt wären. Die ganze Erscheinung des Mannes war die eines Müllhaldenbewohners.
    »Wer bist du denn?«, fragte Schilff. Und konnte nicht begreifen, wieso er sich auf ein Gespräch einließ.
    »Wer bist du denn?«, lallte der andere. Und trank. Und machte einen Buckel. Hat der Angst, seinen Mantel zu bekleckern? Er umklammerte die Dose wie einen kostbaren Gegenstand. Dann richtete er sich auf. Und streckte den linken Arm aus.
    »Heil Hitler.«
    »Wichser«, sagte Schilff.
    Der Betrunkene rührte sich nicht. Er sah Schilff an. Oder auch nicht. Dann machte er einen Schritt auf ihn zu.
    »Du hast ja keine Ahnung, Alter.« Der Mann roch nach verfaultem Obst.
    Schilff musste an den Farmers Market denken. An einen Stand, der einem Cousin seines griechischen Nachbarn gehörte. Gegen Abend stapelten sich dort Kisten voller ungenießbarer Orangen, Bananen, Melonen und anderer Früchte. Und wenn die Sonne direkt darauf schien, strömten sie einen mehligen, klebrigen Geruch aus.
    »Nazi«, sagte Schilff. Und wandte sich um. Wo bin ich denn hier? Ich muss hier weg.
    »Weißt’n du überhaupt, wo du hier bist?«, grunzte der Mann.
    »Wo bin ich denn?« Schilff steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans. Und zog die Schultern hoch.
    »In der Hauptstadt der Bewegung bist du«, krächzte der Mann. »Und solche wie du wolln wir hier nicht haben, also verpiss dich, Alter, sonst lass ich dich abholen.«
    Verblüfft starrte der Betrunkene den ein Meter neunzig großen Mann an, der auf ihn zukam. Und bevor er ein weiteres Mal zwinkerte, traf ihn die Faust. Zwischen Oberlippe und Nase. Und er plumpste auf den Asphalt.
    Schilff sah auf ihn hinunter. Packte ihn mit beiden Händen am Kopf. Zog ihn hoch. Drehte ihn wie eine Puppe im Kreis. Und warf ihn auf die Straße. Der Betrunkene überschlug sich. Die Bierdose rollte an ihm vorbei. Und dann bewegte er sich nicht mehr. Ob er bewusstlos war oder blutete, konnte Schilff nicht sehen. Und er hatte keine Zeit zu verlieren.
    Einer der Taxifahrer, die vor dem Nordeingang des Bahnhofs warteten, rief etwas zu ihm herüber. Schilff entging nicht, dass ein anderer Taxifahrer sein Handy herauszog. Er rannte los. Bis zur U-Bahn-Treppe waren es fünfzig Meter. Im Laufen hörte er schrille Pfiffe. Kein Passant kümmerte sich um das Geschehen. Erst als ein Autofahrer anhalten musste, weil mitten auf der Straße ein Mann lag, kamen Schaulustige näher.
    Im Untergeschoss verlangsamte Schilff seinen Schritt. Er warf einen Blick zurück zur Treppe. Und ging gemächlich zum Bahnsteig hinunter.
    Wenig Leute waren unterwegs. Auf der beleuchteten Tafel wurde die nächste Bahn angekündigt. Richtung Messestadt Ost. Verwirrt betrachtete Schilff den Fahrplan im Glaskasten. Er brauchte eine Weile, bis er die Route gefunden hatte. Unmittelbar danach kam die U-Bahn. Er stieg ein. Setzte sich auf die Bank am Ende des Waggons. Und sah sein Spiegelbild im Fenster.
    Warum er den Mann verprügelt hatte, war für ihn unfassbar. Was hat der mir getan? Nazisprüche, sonst nichts. Dieses Land ist voller Nazisprüche. Das hatte er jede Woche in den deutschen Zeitungen gelesen, die er abonniert hatte. Diese Art

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