Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)
und wurde innerhalb von einer Minute ruhig.
Ich hab ja gar nichts anderes verdient, sagte sie im Stillen zu sich, als würde sie schreiben. So musste es kommen. So ist es gerecht. Ich habe alles so gewollt.
»Er hat in der Tengstraße gewohnt und die letzten Jahre in der Ezra Street in Los Angeles, er ist in München geboren, und seine Eltern sind anscheinend tot.« Sonja Feyerabend trank Tee mit Milch und wartete darauf, dass Tabor Süden den Mund aufbrachte.
Er sah aus dem Fenster. Trank Kaffee. Und strich sich in regelmäßigen Abständen die Haare aus dem Gesicht.
Sie saßen in einem Café schräg gegenüber der »Pension Odetta«. Vor einer Stunde hatte Sonja an die Scheibe des Dienstwagens geklopft und im ersten Moment geglaubt, Süden würde schlafen.
»Ich hab zwei Schilffs angerufen, die sind mit unserem nicht verwandt«, sagte sie.
»Das ist interessant«, sagte Süden. Das war das Erste, was er herausbrachte, seit Sonja begonnen hatte, von ihren Recherchen zu berichten.
Beim Aufstehen heute Morgen hatte sie gespürt, dass dies ein Anti-Süden-Tag werden würde. Sie dachte an ihn. Und die Gedanken kamen nicht bei ihm an. Oder wie auch immer sie dieses Gefühl beschreiben sollte.
»Ich bin extra hergekommen.«
Süden schaute aus dem Fenster, vor dem eine graue Gardine hing, und folgte mit seinen Blicken gelegentlich einem Passanten, als komme dieser ihm bekannt vor.
»Dann …«, sagte Sonja und winkte dem Kellner, einem jungen Türken, den sie auf höchstens siebzehn schätzte, »… habe ich mit Dr. Max Schilling telefoniert, das ist der ehemalige Chefredakteur des Magazins, für das Schilff jahrelang Reportagen aus Amerika geschrieben hat. Die beiden waren Freunde. Einen Kaffee bitte.«
Der junge Türke nickte und nahm das halb volle Teeglas mit.
»Schilling zieht gerade nach Berlin um. Angeblich wusste er längst, dass die Storys erfunden waren, deswegen ist er dann auch so schnell entlassen worden. Aber das war nicht das, was ich wissen wollte. Ich dachte, er könnte mir etwas über Niklas Schilff erzählen, was für ein Typ das ist, wer seine Freunde sind, wen er in der Stadt noch kennt. Nichts. Schilling behauptet, er habe nie einen Freund von Schilff kennengelernt. Seiner Meinung nach hat der keine Freunde. Wenn Schilff hier war, was in letzter Zeit immer seltener der Fall gewesen sei, dann wohnte er bei ihm in Haidhausen. Schilling sagt, nachdem die ersten Berichte erschienen waren, die Schilffs Sachen entlarvten, brach der Reporter den direkten Kontakt ab. Sie kommunizierten nur noch per E-Mail. Danke.«
Den Kaffee brachte der Kellner auf einem silbernen Tablett, mit einem Glas Wasser dazu.
»Er hat also niemand in der Stadt, das ist interessant«, sagte Süden.
Sonja trank den lauwarmen Kaffee. Sie schwiegen.
Aus einem Kassettenrecorder tönte arabische Musik.
»Die Papierfetzen, die wir in der Wohnung gefunden haben, sind identisch mit dem Papier aus den Tagebuchkladden«, sagte Sonja. »Verwertbar sind die Spuren nicht. Am Montag geben wir die Fahndung offiziell raus. Hoffen wir, Ariane taucht übers Wochenende auf.«
»Ich hoffe das nicht«, sagte Süden.
»Bitte?«
»Es gibt keinen Grund für Hoffnung.« Er stemmte die Hände in die Hüften und sah auf seinen Bauch hinunter. »Iris Frost verschweigt uns etwas.«
Darauf brauchte sie nicht zu antworten. Sie hatten die Wirtin mehrmals befragt. Iris Frost war es gewesen, die im Dezernat angerufen und Ariane zum zweiten Mal als vermisst gemeldet hatte. Mit deren Verschwinden hatte Iris nichts zu tun, nicht das Geringste. Worauf wollte Süden hinaus?
»Hat Martin dich angerufen?« Sie wollte sich und ihn auf andere Gedanken bringen.
»Nein«, sagte er.
Darüber waren beide gleichermaßen beunruhigt.
19
B ei geschlossenem Fenster saß er am Tisch, die Hände im Schoß, gekrümmt. Blick auf die schäbige Tapete. Drei Stunden lang. Einmal stand er auf. Ging auf die Toilette. Und warf beim Zurückkommen einen schnellen Blick in den Hinterhof. Nachdem er sich wieder hingesetzt hatte, machte er eine Schnute.
Davon wirst du nicht schöner, hatte Hella Schilff gesagt und die Stirn in Falten gezogen.
Doch, hatte Niklas gesagt und war ihr ins Wohnzimmer hinterhergelaufen. Hella wusste, dass sie keine Chance hatte. Langsam, als könne sie sich nicht für eines entscheiden, nahm sie ein Buch aus dem Regal. Und als sie sich umdrehte, hockte Niklas schon vor dem Sofa auf dem Teppich und wartete darauf, dass sie anfing.
Was sie ihm
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