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Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Titel: Südlich der Grenze, westlich der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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und ihr sehr wehgetan hatte. Die genaueren Umstände verschwieg ich. Aber ich gab zu, dass ich mich damit zugleich selbst verletzt hatte. Ich erzählte von meinem Studium in Tokio und der Arbeit im Schulbuchverlag nach dem Examen. Von der Einsamkeit, in der ich bis Ende zwanzig gelebt hatte. Dass ich nicht einen Freund gefunden hatte. Dass ich mit einigen Frauen zusammen, aber mit keiner auch nur ein bisschen glücklich gewesen war. Dass ich bis fast zu meinem dreißigsten Lebensjahr, als ich Yukiko begegnete und wir heirateten, niemanden wirklich gemocht hatte. Dass ich in dieser Zeit oft an Shimamoto gedacht hatte. Mir gewünscht hatte, sie zu sehen und mit ihr reden zu können, und sei es nur für eine Stunde. Als ich das sagte, lächelte sie.
    »Du hast oft an mich gedacht?«
    »Ja, natürlich.«
    »Ich habe auch oft an dich gedacht«, sagte Shimamoto. »Immer wenn es mir schlecht ging. Du warst der einzige Freund, den ich jemals hatte.« Das Kinn in die Hand gestützt, schloss sie einen Moment lang die Augen. Alle Kraft schien aus ihrem Körper gewichen. Sie trug keinen Ring am Finger. Ab und zu flatterten ganz leicht ihre Lider. Dann schlug sie langsam die Augen auf und sah auf ihre Uhr. Auch ich sah auf die Uhr. Es war fast Mitternacht.
    Sie nahm ihre Tasche und glitt mit einer leichten Bewegung von ihrem Hocker. »Gute Nacht«, sagte sie. »Es war schön, dich wiederzusehen.«
    Ich begleitete sie zur Tür. »Soll ich dir ein Taxi rufen? Bei dem Regen ist es sicher nicht so einfach, eins zu finden«, sagte ich.
    Shimamoto schüttelte den Kopf. »Nein, nein, mach dir keine Gedanken. Das kann ich schon selbst.«
    »Warst du wirklich nicht enttäuscht?«
    »Von dir?«
    »Ja.«
    »Nein, überhaupt nicht«, sagte sie und lachte. »Sei ganz beruhigt. Aber der Anzug – ist der wirklich nicht von Armani?«
    Erst jetzt bemerkte ich, dass Shimamoto ihr Bein nicht mehr nachzog. Sie ging nicht besonders schnell, und ein aufmerksamer Beobachter hätte erkennen können, dass sie eine bestimmte Technik anwendete. Dennoch wirkte ihr Gang nicht unnatürlich.
    »Vor vier Jahren habe ich mich operieren lassen«, sagte Shimamoto fast entschuldigend. »Sie konnten es nicht vollständig korrigieren, aber es ist nicht mehr so schlimm wie früher. Es war eine schwere Operation, doch sie ist geglückt. Sie haben alle möglichen Knochen abgeschabt und ergänzt.«
    »Was für ein Glück. Man sieht überhaupt nichts mehr«, sagte ich.
    »Ja«, sagte sie. »Wahrscheinlich war es ein Glück. Vielleicht hätte ich nicht so lange damit warten sollen.«
    Ich holte ihren Mantel von der Garderobe und half ihr hinein. Sie erschien mir gar nicht mehr so groß. Es fühlte sich seltsam an, denn damals mit zwölf war sie fast so groß gewesen wie ich.
    »Shimamoto, werden wir uns wiedersehen?«
    »Vielleicht«, sagte sie, und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Ein Lächeln wie ein zarter Rauchfaden, der an einem windstillen Tag in die Höhe steigt.
    Sie öffnete die Tür und ging hinaus. Fünf Minuten später stieg ich die Treppe zur Straße hinauf. Ich war besorgt und wollte nachschauen, ob es ihr gelungen war, ein Taxi zu finden. Es regnete noch immer. Shimamoto war nicht mehr da. Die Straße war menschenleer. Nur das Licht der Autoscheinwerfer spiegelte sich in der regennassen Fahrbahn.
    Ob ich mir alles nur eingebildet hatte? Lange stand ich vor dem Gebäude und sah zu, wie der Regen auf die Straße fiel. Mir war, als wäre ich wieder ein Junge von zwölf Jahren. In meiner Kindheit hatte ich oft lange den Regen beobachtet. Während ich an Regentagen unverwandt auf die fallenden Tropfen starrte, schien mein Körper sich nach und nach von der realen Welt zu lösen. Offenbar besitzt Regen die besondere Kraft, Menschen zu hypnotisieren.
    Aber es konnte keine Einbildung gewesen sein. Als ich an die Bar zurückkehrte, standen an Shimamotos Platz noch ihr Glas und der Aschenbecher. In ihm lagen mehrere leicht zerdrückte Zigarettenkippen, an denen ihr Lippenstift haftete. Ich setzte mich auf den Hocker neben ihrem und schloss die Augen. Der Klang der Musik entfernte sich, und ich war allein. In der weichen Dunkelheit fiel noch immer lautlos der Regen.

9
    Danach blieb Shimamoto lange verschwunden. Ich verbrachte nun jeden Abend an der Theke im Robin’s Nest. Die Zeit vertrieb ich mir mit Lesen, wobei ich immer wieder aufschaute und zur Tür sah. Aber sie kam nicht. Allmählich fürchtete ich, dass ich womöglich etwas Falsches gesagt

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