Südlich der Grenze, westlich der Sonne
Cole, Bing Crosby, Rossini, Peer Gynt und die anderen. Sie sind alle noch da. Als mein Vater starb, habe ich sie zum Andenken erhalten. Ich behandele sie sehr pfleglich, sie haben nicht einen Kratzer. Weißt du noch, wie vorsichtig ich immer damit umgegangen bin?«
»Dein Vater ist gestorben?«
»Ja, vor fünf Jahren an Darmkrebs. Eine schreckliche Art zu sterben. Dabei war er immer so gesund.«
Ich war Shimamotos Vater einige Male begegnet. Ein Mann, stark wie die immergrünen Eichen in seinem Garten.
»Wie geht es deiner Mutter?«
»Gut, glaube ich.«
Etwas an ihrem Tonfall ließ mich aufhorchen. »Habt ihr keinen Kontakt?«
Shimamoto trank ihren Daiquiri aus, stellte das Glas auf die Theke und winkte dem Barkeeper. »Kannst du mir einen Cocktail empfehlen?«, fragte sie.
»Wir haben ein paar eigene Rezepte. Besonders gelobt wird immer der Robin’s Nest. Er ist meine Kreation, auf der Basis von Rum und Wodka. Er schmeckt gut, geht aber schnell in den Kopf.«
»Gut geeignet, um Frauen zu verführen.«
»Weißt du nicht, dass das der eigentliche Sinn solcher Getränke ist?«
Sie lachte. »Gut, dann nehme ich einen.«
Als der Cocktail serviert wurde, betrachtete sie zunächst seine Farbe, nahm dann einen kleinen Schluck und ließ mit geschlossenen Augen den Geschmack auf sich wirken. »Köstlich«, sagte sie. »Weder zu süß noch zu sauer. Frisch und schlicht, aber doch vollmundig. Ich wusste gar nicht, dass du ein Talent für solche Dinge hast.«
»Ich kann nicht mal ein Regal zusammenbauen. Oder einen Ölwechsel machen. Keine Briefmarke kann ich gerade aufkleben. Und ständig verwähle ich mich beim Telefonieren. Aber Cocktails habe ich schon mehrere entworfen. Und sie sind beliebt.«
Sie stellte ihr Glas auf den Untersetzer und betrachtete es eine Weile. Als sie es ein wenig zur Seite neigte, spiegelte sich leicht zitternd das Licht der Deckenbeleuchtung darin.
»Ich habe meine Mutter lange nicht mehr gesehen. Vor zehn Jahren sind einige unangenehme Dinge geschehen, und seither sind wir uns kaum begegnet. Bei der Bestattung meines Vaters haben wir uns natürlich getroffen.«
Nachdem das Klaviertrio eine Bluesnummer beendet hatte, erklang die Einleitung von »The Star-Crossed Lovers«. Wenn ich in der Bar war, spielte der Pianist häufig dieses Stück, weil er wusste, dass ich es sehr gern mochte. Es war eines der weniger bekannten Stücke von Duke Ellington, und ich verband auch keine persönlichen Erinnerungen damit, aber seit ich es irgendwann zum ersten Mal gehört hatte, berührte es mich immer sehr. Besonders das empfindsame und elegante Solo von Johnny Hodges. »The Star-Crossed Lovers« war auf der LP Such Sweet Thunder , die ich während meines Studiums und der Zeit im Schulbuchverlag immer wieder gehört hatte. Wann immer die träge, schöne Melodie ertönte, musste ich an diese Zeit denken. Ich konnte nicht behaupten, dass sie glücklich gewesen war. Mein Leben war damals voller unerfüllter Sehnsüchte gewesen. Ich war jünger, hungriger und einsamer, aber auf eine einfache, klare Weise ich selbst. Damals spürte ich, wie jeder Ton der Musik, die ich hörte, jede Zeile der Bücher, die ich las, in mich eindrang. Meine Sinne waren scharf wie Klingen. In meinem Blick leuchtete ein helles Licht, das andere durchdrang. So war ich damals. »The Star-Crossed Lovers« erinnerte mich immer an diese Zeit und an die Reflexion meiner Augen im Spiegel.
»Als ich in der neunten Klasse war, wollte ich dich einmal besuchen. Ich konnte meine Einsamkeit nicht mehr ertragen«, sagte ich. »Ich rief bei euch an, aber es meldete sich niemand. Also fuhr ich mit der Bahn zu eurem Haus. Aber an der Tür hing ein anderes Namensschild.«
»Zwei Jahre nach eurem Umzug wurde mein Vater nach Fujisawa in der Nähe von Enoshima versetzt, und wir sind dorthin gezogen. Ich habe dort gewohnt, bis ich auf die Uni kam. Ich hatte dir eine Karte mit unserer neuen Adresse geschickt. Hast du die nicht bekommen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Dann hätte ich dir doch geantwortet. Wie seltsam. Sie muss irgendwie verloren gegangen sein.«
»Vielleicht haben wir einfach kein Glück«, sagte Shimamoto. »Immer wieder läuft etwas schief, und immer wieder verfehlen wir uns. Aber erzähl mir von dir. Wie ist dein Leben verlaufen?«
»Keine besonders interessante Geschichte«, sagte ich.
»Macht nichts, ich würde sie trotzdem gern hören.«
Ich berichtete ihr in groben Zügen. Dass ich in der Oberschule eine Freundin gehabt
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