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Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Titel: Südlich der Grenze, westlich der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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doch keinen Vorwurf. Ich mache niemandem einen Vorwurf«, sagte ich.
    »Ich rufe jetzt sofort dort an. Sie sollen alles wieder verkaufen. Nur sei mir bitte nicht mehr böse.«
    »Ich habe keinen Grund, dir böse zu sein.«
    Stumm setzten wir unsere Mahlzeit fort.
    »Gibt es etwas, das du mit mir besprechen möchtest?«, fragte Yukiko und sah mir in die Augen. »Wenn du etwas auf dem Herzen hast, kannst du es mir ehrlich sagen. Auch wenn es dir vielleicht schwerfällt. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, tue ich es. Ich bin nicht besonders klug und weiß nicht viel von der Welt, geschweige denn von Geschäften. Aber ich will nicht, dass du unglücklich bist. Dass du so bedrückt aussiehst. Was macht dich so unzufrieden?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht unzufrieden. Ich liebe meine Arbeit. Sie befriedigt mich. Und dich liebe ich natürlich auch. Nur die Machenschaften deines Vaters gehen mir mitunter auf die Nerven. Ich habe nichts gegen ihn persönlich. Ich bin ihm dankbar und weiß, dass er nur unser Bestes will. Deshalb bin ich ihm auch nicht böse. Nur manchmal weiß ich nicht mehr, wer ich eigentlich bin. Ich bin nicht mehr sicher, ob das, was ich tue, das Richtige ist. Deshalb bin ich verwirrt. Aber ich bin nicht böse.«
    »Es sah aber so aus.«
    Ich seufzte.
    »Und dann seufzt du dauernd so«, sagte Yukiko. »In letzter Zeit kommt es mir so vor, als würde dich etwas bedrücken. Als würdest du ständig grübeln.«
    »Ich verstehe es selbst nicht.«
    Yukiko ließ mich nicht aus den Augen. »Mit dir ist doch irgendetwas«, sagte sie. »Aber ich habe keine Ahnung, was. Wenn ich dir doch nur helfen könnte.«
    Plötzlich verspürte ich den heftigen Drang, Yukiko alles zu anzuvertrauen. Wenn ich mir alles von der Seele reden könnte, wie viel wohler wäre mir gewesen. Ich hätte nichts mehr verbergen brauchen. Mich nicht mehr verstellen, nicht mehr lügen brauchen. Ich hätte einfach nur sagen müssen: Hör zu, Yukiko, es gibt da eine andere Frau, die ich liebe. Ich kann sie einfach nicht vergessen. Immer wieder habe ich mich zurückgehalten. Mich bezwungen, um dich und die Kinder zu schützen. Aber jetzt kann ich es nicht mehr. Wenn sie das nächste Mal auftaucht, werde ich mit ihr schlafen, komme, was wolle. Ich kann es nicht mehr aushalten. Ich denke an sie, wenn ich mit dir schlafe. Ich denke an sie und masturbiere.
    Natürlich sagte ich nichts dergleichen. Es hatte keinen Sinn, Yukiko diese Dinge zu offenbaren. Ich würde uns alle unglücklich machen, mehr nicht.
    Nach dem Essen kehrte ich ins Büro zurück, um weiterzuarbeiten. Aber ich konnte mich einfach nicht mehr konzentrieren. Ich schämte mich, dass ich Yukiko so unnötig abgekanzelt hatte. Was ich gesagt hatte, war ja an sich nicht falsch, aber solche scharfen Worte kamen einem wie mir nicht zu. Ich hatte Yukiko belogen und mich hinter ihrem Rücken mit Shimamoto getroffen. Wie kam ich dazu, meiner Frau gegenüber einen derart überheblichen Ton anzuschlagen? Yukiko sorgte sich aufrichtig um mich. Das war offensichtlich. Und sie meinte es ernst. Aber wie stand es mit mir selbst? Gab es in meinem Leben überhaupt ein nennenswertes Maß an Aufrichtigkeit? Während ich darüber nachdachte, verging mir jede Lust, noch etwas zu tun. Ich legte die Beine auf den Schreibtisch und starrte, einen Bleistift in der Hand, lange aus dem Fenster. Vor dem Büro lag ein Park. Es war ein schöner Tag, und es wimmelte von Eltern mit Kindern. Die Kleinen spielten im Sandkasten oder rutschten, während ihre Mütter sich unterhielten und sie dabei im Auge behielten. Die spielenden Kinder erinnerten mich an meine Töchter. Ich sehnte mich sehr nach ihnen. Ich wollte, wie ich es oft tat, mit einem Kind an jeder Hand die Straße entlanggehen. Die Wärme ihrer kleinen Körper spüren. Doch bei diesen Gedanken fiel mir plötzlich Shimamoto ein. Ich dachte an ihre leicht geöffneten Lippen. Shimamotos Bild war stärker als das meiner Kinder. Sobald ich es einmal vor mir sah, konnte ich an nichts anderes mehr denken.
    Ich verließ das Büro und ging die Aoyama-dori hinunter in das Café, in dem ich mich häufig mit Shimamoto getroffen hatte. Ich bestellte Kaffee und las. Wenn ich genug vom Lesen hatte, dachte ich wieder an Shimamoto. Ich erinnerte mich an Bruchstücke von Gesprächen, die wir in diesem Café geführt hatten. Wie sie eine Salem aus der Schachtel genommen und mit ihrem Feuerzeug angesteckt hatte. Wie sie sich ganz nebenbei das Haar aus der Stirn

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