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Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Titel: Südlich der Grenze, westlich der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Worten.
    »Warum hast du nicht vorher mit mir gesprochen?«
    »Aber wieso denn? Wir kaufen doch immer die Aktien, zu denen Vater uns rät«, sagte sie verständnislos. »Du hast mich doch schon öfter so etwas erledigen lassen. Du sagst immer, ich soll machen, was er für richtig hält. Und weil er gesagt hat, wir hätten keine Zeit zu verlieren, habe ich das so gemacht. Ich konnte dich doch im Schwimmbad nicht erreichen. Habe ich etwas falsch gemacht?«
    »Nein, schon gut. Aber es wäre mir lieb, wenn du alles, was du gekauft hast, morgen früh wieder verkaufen würdest«, sagte ich.
    »Verkaufen?«, fragte Yukiko. Wie geblendet kniff sie die Augen zusammen und sah mich an.
    »Verkauf alles, was du heute gekauft hast, und überweise es auf die Sparkonten zurück.«
    »Aber dann haben wir die ganzen Vermittlungsgebühren und die Provision für den An- und Verkauf der Aktien umsonst bezahlt.«
    »Egal«, sagte ich. »Den Verlust nehme ich in Kauf. Stoß bitte alles ab, was du heute gekauft hast.«
    Yukiko seufzte. »Ist zwischen dir und Vater etwas vorgefallen? Was ist nur los?«
    Ich gab keine Antwort.
    »Da war doch was, oder?«
    »Weißt du, Yukiko, ehrlich gesagt ist mir so was immer mehr zuwider«, sagte ich. »Das ist alles. Ich will nicht mit Aktien reich werden. Ich will mein Geld mit meiner Hände Arbeit verdienen. Bisher ist mir das ja auch immer gelungen. Es hat dir doch bisher nie an etwas gemangelt, oder?«
    »Nein, du hast alles wunderbar geschafft. Habe ich mich je beschwert? Ich bin dir sehr dankbar, und ich respektiere dich. Aber mein Vater will uns doch nur einen Gefallen tun. Er versucht nur, nett zu dir sein.«
    »Ich weiß. Aber was, glaubst du, bedeutet so ein Insidertipp? Wenn es heißt, der Gewinn ist garantiert?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Das nennt man Kursmanipulation«, sagte ich. »Jemand in einem Unternehmen manipuliert die Aktien, macht künstlich große Gewinne und teilt sie unter seinen Kumpels auf. Und dieses Geld fließt in die Politik oder dient zu Bestechungszwecken. Das sind andere Aktien als die, die Vater uns bisher empfohlen hat. Mit denen konnte man eventuell einen Gewinn machen. Wir hatten nur ein paar inoffizielle Informationen. Zwar haben wir fast immer daran verdient, aber manchmal hat es auch nicht geklappt. Doch diesmal ist es anders. Für meinen Geschmack stinkt die Sache. Ich will nichts damit zu tun haben.«
    Ihre Gabel in der Hand, überlegte Yukiko einen Moment lang.
    »Bist du denn wirklich sicher, dass es um Kursmanipulation geht?«
    »Frag doch deinen Vater, wenn du es genau wissen willst«, sagte ich. »Aber eins kann ich dir sagen: Es gibt auf der ganzen Welt keine Aktie, die nicht auch fallen kann. Eine solche Garantie ist das Resultat illegaler Absprachen. Mein Vater war vierzig Jahre lang in einem Wertpapierhaus angestellt. Er hat von morgens früh bis abends spät gearbeitet. Aber alles, was er hinterlassen hat, war ein armseliges Häuslein. Wahrscheinlich war er auch von Natur aus nicht besonders raffiniert. Meine Mutter saß jeden Abend über ihrem Haushaltsbuch und grämte sich, wenn hundert oder zweihundert Yen fehlten. So bin ich aufgewachsen. Und du redest davon, dass du nur acht Millionen Yen aufbringen konntest. Aber hier geht es um echtes Geld, Yukiko. Kein Spielgeld wie beim Monopoly. Die meisten Leute quetschen sich jeden Tag in die volle U-Bahn, machen so viele Überstunden wie möglich und rackern sich das ganze Jahr über ab, aber acht Millionen bringen sie nicht nach Hause. Ich habe selbst acht Jahre lang so gelebt. Und acht Millionen habe ich nie gehabt, auch nach acht Jahren nicht. Aber ein solches Leben ist dir ja unbekannt.«
    Yukiko sagte nichts. Sie presste die Lippen zusammen und starrte auf ihren Teller. Mir wurde bewusst, dass ich lauter gesprochen hatte als sonst, und ich senkte die Stimme.
    »Du sagst, das Geld wird sich in etwa einem halben Jahr verdoppelt haben. Aus acht Millionen werden sechzehn. Da stimmt doch was nicht. Und ich merke gar nicht, wie ich in etwas hineingezogen werde, das falsch ist. Wahrscheinlich trage ich selbst dazu bei. In letzter Zeit fühle ich mich innerlich immer leerer.«
    Yukiko starrte mich über den Tisch hinweg an. Ich aß schweigend weiter. Ich spürte ein Zittern in mir. Ob vor Gereiztheit oder Zorn, wusste ich nicht. Doch was immer der Grund war, ich konnte es nicht abstellen.
    »Entschuldige, es war unüberlegt von mir«, sagte Yukiko leise, nachdem wir lange geschwiegen hatten.
    »Ich mache dir

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