Sühnetag - Patterson, J: Sühnetag - Worst Case
Scheiße! Das ist John Lennon!«, höhnte einer von ihnen. » Ich dachte, du wärst erschossen worden. Wo ist Yoko? Wann trittst du wieder mit Paul auf?«
Die anderen brachen in Lachen aus.
Wichser, dachte er und eilte zum Brunnen in der Mitte, wo ein Straßenkomiker auftrat. Ja, das Schicksal der Welt konnte einem echt zusetzen. Er wollte sich von diesen Arschlöchern nicht runterziehen lassen. Er musste nur auf den richtigen Menschen treffen, dann würde es schon laufen. Ausdauer war das A und O.
Die Menschen wandten ihre Blicke ab, als er sich ihnen näherte. Niemand wollte das Flugblatt nehmen. Warum nicht?
Eine erfolglose Viertelstunde später nahm ihm eine zierliche Frau ein Flugblatt aus der Hand. Endlich, dachte er. Sein Lächeln erstarb, als die Frau das Blatt zusammenknüllte und auf den gepflasterten Weg fallen ließ. Er rannte ihr hinterher, hob das Blatt auf und holte die Frau ein.
» Zumindest hätten Sie warten können, bis Sie außer Sichtweite sind. Und dann hätten Sie das Flugblatt in einen Abfalleimer werfen können«, schimpfte er, als er ihr den Weg versperrte. » Müssen Sie das Blatt auch noch auf den Boden werfen?«
» Äh, ich … ja, bitte?«, stammelte die Frau und zog die weißen Ohrhörer heraus. Sie hatte kein Wort verstanden. Waren alle jungen Menschen heutzutage Idioten? Merkten sie nicht, welche Richtung die Welt eingeschlagen hatte? Machten sie sich keine Sorgen?
» Ja, das hast du gut gesagt«, murmelte er, als er fortging. » Bitte! Du armseliger Ersatz für einen Menschen wirst noch um viel mehr bitten müssen.«
Er blieb abrupt stehen, als er zum Eingang des Parks zurückkam. Jemand war über den Papierstapel gestolpert, und der Großteil der Flugblätter wehte unter dem Torbogen hindurch über den Bürgersteig und weiter die Fifth Avenue hinauf. Er rannte aus dem Park hinaus und versuchte, die Flugblätter einzufangen, bis er es aufgab. Er war völlig erschöpft, kam sich wie ein Idiot vor, als er sich zwischen zwei geparkten Fahrzeugen an den Straßenrand setzte.
Weinend barg er den Kopf in seinen Händen. Zwanzig Minuten lang saß er da, lauschte dem Wind, ließ den unaufhörlichen Verkehrsstrom an sich vorbeiziehen.
Flugblätter!, dachte er schniefend. Hatte er wirklich geglaubt, die Welt mit einem Blatt Papier und einem besorgten Gesichtsausdruck ändern zu können? Er blickte hinunter auf seine alte Jeansjacke, die er hinten aus seinem Schrank gezogen hatte. Stolz, dass sie noch immer passte. Er war ja so ein Dummkopf.
Es gab nur eins, was die Menschen vom Hocker riss, nur eine Sache, die ihnen die Augen öffnete.
Schon damals hatte es nur eine Sache gegeben.
Und auch heute gab es nur eine.
Er nickte, als er seinen Beschluss gefasst hatte. Er würde keine Hilfe bekommen. Er musste es selbst tun. Genug von diesem Quatsch. Die Uhr tickte. Er hatte keine Zeit mehr für Spinnereien.
Er merkte, dass er sich noch immer an einem zerknüllten Flugblatt festhielt. Er glättete es neben sich auf dem kalten Pflaster, zog einen Stift heraus und nahm eine entscheidende Korrektur vor. Das Blatt schnalzte wie eine Flagge, als er es sich vom Wind aus den Fingern reißen ließ.
Der grauhaarige Mann wischte sich über die Augen, als das Blatt, auf dem er geschrieben hatte, weit oben an einem Laternenpfahl hängen blieb.
Das Wort » Liebe« in der Überschrift hatte er durchgestrichen. Vor dem aschgrauen Himmel über ihm stand jetzt zu lesen:
» Blut kann die Welt verändern!«
Erster Teil
Asche zu Asche
1
In der Dunkelheit gefesselt, dachte Jacob Dunning daran, was er alles für eine Dusche geben würde.
Seinen gesamten Besitz? Mit Freuden. Einen Zeh? Ohne zu überlegen. Einen Finger? Hm, brauchte er seinen linken kleinen Finger unbedingt?
Nicht näher identifizierbarer, schlammartiger Dreck klebte an seiner Wange, an seinem Haar. Er, der gut aussehende, dunkelhaarige College-Student, lag nur mit seinem T-Shirt und seinen Boxershorts bekleidet auf einem schmutzigen Betonboden an einem sehr engen Ort.
Ein lästiges Brummen wie von Industriemaschinen dröhnte in der Ferne. Seine Augen waren verbunden, seine Hände an ein Rohr hinter ihm gefesselt. Der Knebel in seinem Mund war fest in der Einbuchtung zwischen Schädel und Hals verknotet.
Diese Vertiefung wurde » großes Hinterhauptloch« genannt, wie er wusste. Dort ging die Wirbelsäule in den Schädel über, was Jacob im Anatomiekurs etwa einen Monat zuvor gelernt hatte. Die New York University war Schritt eins
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