Sühnetag - Patterson, J: Sühnetag - Worst Case
über die eure heiligen Aktionäre und Investoren hinwegsehen?«
Mooney blickte auf ihre verblüfften Gesichter hinab.
» Ich war wie ihr. Ich habe mich für die Unternehmensmaschinerie versklavt und sie vor dem Gesetz mit Mitteln geschützt, zu denen normale Menschen keinen Zugang haben. Habe illegale Preisabsprachen und unethische politische Strategien vor Millionen von anständigen Angehörigen der Arbeiterklasse geschützt. Ich habe Verbrechen unsäglichen Ausmaßes gesehen. Ich habe gesehen, wie natürliche Wasserwege unwiederbringlich verunreinigt wurden. Niemand wurde dafür verantwortlich gemacht. Niemand ging dafür ins Gefängnis. Warum nicht? Kann mir das jemand sagen?
Ach, übrigens sehe ich, dass einige von euch starkes Übergewicht haben. Aber wie viele Menschen auf der Welt gibt es, die an Hunger sterben, während wir uns hier unterhalten? Weiß jemand die Antwort? Keine falsche Scheu, bitte.«
93
Wir brauchten fünf Minuten, um uns mit meiner Chefin und dem Leiter des Geiselbefreiungsteams, Tom Chow, zu beraten. Chow traf die letzten Vorbereitungen über sein taktisches Mikrofon, während Emily und ich Bombenwesten überzogen.
» Wie geht’s jetzt weiter, Detective?«, fragte Howard Parrish, als wir aus dem Bus stiegen. » Gehen wir etwa nicht rein? Was ist mit meinem Jungen?«
» Wir haben neue Erkenntnisse erhalten. Das ist unsere Chance, die Sache zu Ende zu bringen, ohne dass noch mehr unschuldige Menschen zu Schaden kommen. Wir werden tun, was wir können, Sir«, erklärte Emily.
» Das ist nicht gut genug. Verdammt! Ich will meinen Sohn lebend. Wenn Sie mir das nicht garantieren können, will ich gegen ihn ausgetauscht werden. Ich bestehe darauf!«
Ich blieb stehen und hielt ihn an seinem Ellbogen fest.
» Hören Sie zu, Mr. Parrish«, beruhigte ich ihn. » Ich garantiere Ihnen, dass wir Ihnen Ihren Sohn lebendig zurückbringen.«
Wir gingen fort.
» Was treiben Sie denn hier für ein Spiel, Mike? Wie können Sie so etwas versprechen?«, flüsterte Emily auf dem Weg die Wall Street entlang.
» Ist doch ganz einfach.« Ich zuckte mit den Schultern. » Wenn die Sache schiefgeht, kann er rumschreien, so viel er will – ich bin dann nicht mehr da.«
An der Absperrung informierte uns Chow ein letztes Mal über den Stand der Dinge.
» Alles ist an Ort und Stelle«, beendete er seinen Bericht und blieb an der Eingangstür stehen. » Der Rest liegt in euren Händen.«
Emily und ich traten durch die Metalldetektoren in die riesige, leere Eingangshalle. Schweigend gingen wir weiter, jeder mit den eigenen Gedanken beschäftigt.
» Viel Glück, Detective Bennett. Wenn es funktioniert, lade ich Sie zum Abendessen ein«, versprach Emily, als ich an der Tür stehen blieb, die zur Treppe zum Balkon führte.
» Ich hoffe, Sie haben Ihre Kreditkarte dabei, Agent Parker«, erwiderte ich, als sie zum Börsensaal weiterging. » Wenn es funktioniert, schweben mir in etwa fünfzehn Aperitifs vor.«
94
Parker war, als sie den Flur entlangging, dankbar für die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge entwickelten. Es blieb keine Zeit zum Nachdenken. Was gut war. Hätte sie nachgedacht, wäre sie in die entgegengesetzte Richtung gegangen.
Zwei Polizisten hockten hinter dem letzten Sicherheitsposten und blickten durch das Fenster im Eingang zum Börsensaal. Parker zeigte ihnen ihre Dienstmarke und schlich sich hinein.
» Wo ist er?«
Zwei Broker flüsterten laut hinter ihren Pulten.
» Passen Sie auf. Der Kerl ist völlig durchgeknallt.«
» Er hat eine Waffe«, warnte ein pummeliger Weißer mit dünnem, schwarzem Haar.
Sie trat aus ihrem Versteck hervor.
» Hast du echt gedacht, du würdest damit durchkommen, du mit deiner Scheiße im Hirn? Ja, mit dir rede ich, du Wichser!«
» Wer sind Sie?«, rief Mooney übers Mikrofon.
» Ich? Ich bin ein anständiger Mensch, der heute zur Arbeit gegangen ist«, schrie Emily. » Du dagegen bist ein gemeiner Mörder, ein Kindsmörder, ein Serienmörder und höchstwahrscheinlich pervers.«
» Hey, Lady!«, sagte einer der Broker. » Maul halten! Sie bringen uns noch alle um!«
» So einer bin ich nicht!«, rief Mooney.
» So einer bin ich nicht!«, äffte Emily ihn nach. » Machst du Witze? Du hast doch alle diese Kinder umgebracht.«
» Diese Kinder, wie Sie sie nennen, waren wertlos, sinnlos. Sie haben den Tod verdient!«, rief Mooney. » Ihre Eltern hätten sie besser erziehen sollen. Hätten ihnen die Bedeutung des Menschseins beibringen
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