Sünden der Faulheit, Die
Verständnis hatten, richteten sich ihre Tabletts selbst, die anderen zischelten böse »Luis«, doch Luis beruhigte sie, und die Mädchen kicherten. Raimund stritt mit dem Geschäftsführer.
Es war kalt draußen. Am Ende der Kurfürstenstraße drehte sich über den Häusern der blaue Neonstern auf dem Dach des Europacenters. Von der Apostelkirche schlug es sieben.
Einige hundert Meter weiter standen Prostituierte in zugigen Hausaufgängen. Das Straßengeschäft lief schlecht kurz nach Weihnachten, aber der Abend hatte ja gerade erst begonnen.
Die Potsdamer Straße bereitete sich auf die Nacht vor. Der türkische Gemüsehändler saß in seinem Laden neben dem öden Parkhaus und tippte die Tageseinnahmen in einen Taschenrechner. Seine Frau füllte hinter ihm die Regale auf. Der An- und Verkaufjuwelier ließ rasselnd ein Gitter vor das Schaufenster, verschloß und ging unter dem gußeisernen Gestänge der Hochbahn zu einem Imbiß, wo er jeden Abend ein Glas Raki trank. Die beiden Ärzte und die Krankenschwestern, die in der Ambulanz am Kleistpark zum Nachtdienst eingeteilt waren, saßen in ihrem Aufenthaltsraum und verfolgten die Fernsehnachrichten.
Schräg gegenüber lag ein Palais aus der Hohenzollernzeit. Über dem ausladenden Portal hingen die Fahnen der Besatzungsmächte, Rasenflächen und Blumenrabatten zogen sich bis zu dem Gitter, das den Kleistpark von der Potsdamer Straße trennte. Obwohl sich die Sowjetunion schon 1948 aus dem Alliierten Kontrollrat zurückgezogen hatte, war die rote Fahne mit Hammer und Sichel noch immer an ihrem Platz.
Als der schwarze Wolga Oberst Nikolai Koljatows das Gebäude passierte, erinnerte er sich, wie er als junger Leutnant an den letzten Sitzungen teilgenommen hatte. Oberst Koljatow war Ukrainer, Ende Fünfzig, im Osten der Stadt stationiert; zu seinem Dienst gehörten diese wöchentlichen Fahrten durch den Westteil Berlins, mit denen die Sowjetunion ihr Recht als Besatzungsmacht unterstrich. Genauso, wie amerikanische Jeeps auch heute noch regelmäßig Unter den Linden auftauchten.
Koljatow saß neben Oleg, seinem Fahrer. Im Fond des Wagens stierte ein politischer Offizier durch die getönten Scheiben auf die Glitzerwelt. Als sie die Prostituierten erreichten, verlangsamte Oleg die Fahrt. Eine der Nutten erregte seit Monaten Koljatows Aufmerksamkeit. Im Sommer trug sie einen glänzenden Bodystocking und hochhackige Lackstiefel, nun im Winter hatte sie einen Fellmantel offen darübergeworfen. Koljatow hätte einiges dafür gegeben, einmal auszusteigen und mit ihr in dem dunklen Eingang zu verschwinden, über dem eine schäbige Neontafel »Hotel Exzelsior« leuchtete. Der Gedanke war sinnlos. Er lehnte sich zurück und memorierte japanische Schriftzeichen.
Eins der Stundenhotels war vom Senat für Emigranten aus Ceylon angemietet worden. In ihren unpassenden Winterkleidern, die das Rote Kreuz gespendet hatte, standen sie in Grüppchen auf dem Bürgersteig und wußten nicht mehr, was sie in der Stadt wollten. Die gardinenlosen Fenster des grün gekachelten Hauses waren blind von Rauch und Körperdunst. Niemand hier konnte die Tamilen leiden, sie standen meist nur herum und froren.
Einer von ihnen verließ die Stehparty und lief durch den Verkehr auf die andere Straßenseite. Er hatte gestern und heute in einer Autowaschanlage gearbeitet und wollte die 60 Mark Sklavenlohn verfeiern. In holprigem Englisch sprach er die Frau in den Lackstiefeln an.
»Vapiß’da, Kanake«, sagte Ilona und drehte den Kopf.
Er versuchte es noch einmal, denn er wollte ja bezahlen.
»Vapiß’da!« schrie sie. Aus dem Casino »Pik 7 « nebenan kamen zwei Männer.
»Hassu Schwierigkeiten?«
»Der Kanake jloobt, ick würde mit ihm auf Ssimmer jehn.«
Die beiden Schläger grinsten.
»Na los, Äffchen, ma wieder rüber inne Herde.«
Noch eine Erniedrigung konnte er heute nicht ertragen. Als er erwachte, sah er in das Gesicht eines Arztes in der Ambulanz am Kleistpark. Etwas abseits saß ein junger Polizist und las im Asylantrag, den sie aus seiner Hosentasche gefischt hatten. Auf der Potsdamer Straße hatte die Nacht begonnen.
Im Spielcasino »Pik 7 « zählte der Geschäftsführer in einem Hinterraum Wechselgeld, als es klopfte.
»Wer issn?«
»Eddie und Assi.«
»Rein!«
Sie traten vor seinen Tisch.
»Habt ihrn?«
»Also, weeße, diss’ nich so einfach, wie du et dir vorstellst …«, versuchte Eddie eine Erklärung. Der Geschäftsführer bündelte einen Haufen Zehner und
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