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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Jahren lebte er in einer jener Neubausiedlungen an der Peripherie. Harry Schulz hatte jede Ähnlichkeit mit dem Idol seiner Mutter verloren, sofern er sie einmal besessen haben sollte. Seine Haare waren fettig, und unter seiner graugrünen Uniform wölbte sich ein trauriger Chips-und-Bier-Bauch. Sein Revier, das er heute nacht in einem VW -Bus durchkreuzte, waren das nördliche Schöneberg und Teile des Tiergartens. Er liebte den Nachtdienst, weil er dann nicht neben seiner Frau im Bett liegen mußte.
    Der VW -Bus trendelte über die Potsdamer Straße, bog am Landwehrkanal links ab und fuhr langsam am Bendlerblock vorbei. Der massive dunkle Bau wirkte immer noch bedrohlich und menschenverachtend.
    Harrys Kollege Gerd Franke, der neben ihm saß und sich aus demselben Grund zum Nachtdienst einteilen ließ, wischte mit einem Papiertaschentuch über die beschlagene Windschutzscheibe. Aus dem Funkgerät ziepten Gesprächsfetzen.
    »Hassu was zu rauchen?« fragte Schulz, dem seine Frau verboten hatte, in der Wohnung zu rauchen. Franke, dessen Frau es nicht mehr wagte, ihm solche Vorschriften zu machen, nachdem er sie einmal verprügelt hatte, holte eine ungeöffnete Schachtel HB aus der Brusttasche seines Hemds. Vom ersten Zug wurde Schulz schwindlig, aber dann ging es. Schweigend fuhren sie durch das alte Diplomatenviertel. Beide hofften, daß heute nacht nichts passieren würde, keine Schlägerei und keine Betrunkenen, sie wollten einfach nur die Stunden bis zum Morgen ruhig hinter sich bringen. Die Nacht war mondlos, und es schneite nun doch ein wenig.
     
    Auf der Straße vor dem »Calabria« spürte Lacan den Wein. Im Laternenlicht sah er Hartmann an, der verändert schien. Er wirkte wie jemand, der noch weniger zu verlieren hatte als Lacan selbst, und das war schon nicht viel. Hartmann sah unentschlossen aus. Du wirst zu dick, dachte Lacan, als sie in den Opel stiegen. Er schob eine Kassette in den Recorder, und Chrissie Hynde sang ein sentimentales Lied über Ohio. Das Schneegestöber wurde dichter.
    »Es schneit«, sagte Hartmann.
    »Na und?«
    »Vorhin hat es noch nicht geschneit.«
    »Liest du Handke?« fragte Lacan.
    »Leck’ mich«, raunzte Hartmann.
    »Dann ist ja gut.«
     
    Vor dem »Amazonas« parkte Lacan seinen Wagen auf dem Bürgersteig. Eine Schneedecke legte sich über die Stadt. Weiß und rein, dachte Lacan, jeder Hauseingang hätte als Kulisse für ein Krippenspiel dienen können, ein kristallen schimmernder Teppich.
    Auf ihr Schellen öffnete eine Frau in Lederuniform die Türe und musterte sie flüchtig.
    »Rein mit euch«, sagte sie und zog schnell die Türe hinter ihnen zu; einzelne Schneeflocken schmolzen auf den Fliesen des Lokals.
    Das Licht im »Amazonas« war grell. An der Wand rechts vom Eingang standen weißgedeckte Tische, links war die lange Bar, dazwischen eine große Fläche, die sich erst langsam mit Gästen füllte. Unter der Decke verlief rundum eine Galerie. Die Treppe nach oben war eine Falle für alle, die zuviel getrunken oder gesnifft hatten. Nachdem Lacan einmal mitten im Raum abgestürzt war, hatte er das »Amazonas« eine Zeitlang gemieden, nun war wohl Gras über die Sache gewachsen.
    Sie stiegen auf die Galerie und suchten sich einen Tisch, von dem aus sie das Lokal gut überblicken konnten. Es war kurz nach halb zwölf.
    Die meisten Gäste unten tranken Bier, oben wurden Cocktails und Sekt bevorzugt. Hinter dem großen Raum, in den man von der Straße trat, lag abgedunkelt die Tanzfläche, in deren Mitte sich die Kegel zweier blauer Scheinwerfer kreuzten. Einige Schemen zuckten im Rhythmus der Trommelmusik: laute, harte mechanische Schläge. Ein Kellner mit kurzen wasserstoffblond gefärbten Haaren nahm ihre Bestellung entgegen, Tequila-Sunrise und Gin-Fizz, kein Kaffee. Sie lehnten sich auf die Metallbrüstung und sahen nach unten. Spiegel hingen schräg an den Wänden unterhalb der Galerie, daß kein Winkel des Raums unbeobachtet blieb. Drei Männer ganz in Schwarz, mit ausrasierten Schläfen, standen lässig beieinander und wippten mit den Oberkörpern. Zwei hatten Lidschatten aus Asche, der dritte trug einen breiten Gürtel aus viereckigen Stahlplatten, die einen langen Umhang zusammenhielten.
    Der Kellner brachte die mit Limonenscheiben und Papierschirmen drapierten Gläser und kassierte gleich.
    »Na denn«, sagte Hartmann und hob sein Glas. Lacan nestelte den Papierschirm aus seinem Tequila und trank einen Schluck; Grenadine marmorierte rot die gelbe

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