Sünden der Faulheit, Die
steckte ihn in die Tasche.
»Et wird langsam Zeit!«
»Klaro, klaro«, sagte Eddie, und Assi nickte. »Aber find mal jemanden in so ’ner großen Stadt.«
»Ick verlier die Jeduld.«
»Dit kann sich nur noch um Tage, ach, wat sa ick, um Stunden handeln.«
»Meinswejen kann er ooch die Hälfte anzahlen.«
»Wir machen dit schon, Chef, keine Bange.«
»Dafür zahl ick euch ja.«
Die beiden standen verlegen da. Der Mann hinter dem Tisch zählte wieder Geld.
»Wir jehn denn mal.«
»Wat sonst?«
Ilona war inzwischen mit einem Türken im Haus verschwunden, der Juwelier trank seinen dritten Raki, und der Gemüsehändler träumte von daheim. Es war Nacht.
Hartmanns Auto sprang nicht an. Wütend drückte er das Gaspedal durch. Lacans Augen wanderten bewundernd über das matt scheinende hölzerne Furnier des Armaturenbretts; die Lederpolster des Jaguars allein waren teurer und bequemer als jedes Möbel seiner Wohnung. Sein Freund versuchte es wieder. Die Kontrollämpchen flackerten auf und verlöschten.
»Komm, wir fahren mit deinem«, sagte Hartmann. Lacan nickte, und sie stiegen aus.
Bernhards Opel machte Geräusche wie ein heiserer Hund.
»Indianapolis?« fragte Hartmann.
»Indianapolis!«
Die Nacht war kalt und klar. Einige Zentimeter Neuschnee hätten die Tristesse des Berliner Winters vertrieben, aber es sah nicht nach Schnee aus.
»Du scheinst ja wirklich Geld zu haben«, sagte Lacan.
»Wegen des Jaguars?«
»Zum Beispiel.«
Hartmann gab keine Antwort. Schweigend fuhren sie über den Kurfürstendamm.
»Und du?« fragte Hartmann.
»Was und ich?«
»Na Geld!«
»Hörst du ja«, sagte Lacan, während er den dritten Gang suchte.
»Wohin fahren wir?«
»Keine Ahnung.«
»Warum nicht ins ›Calabria‹?«
»Mir recht, wenn du bezahlst.«
»Mach dir keine Sorgen, diesmal müssen wir kein Tischtuch anzünden.«
Lacan bog auf die Lewishamstraße. Der Tunnel unter dem Kudamm war gesperrt. Am Morgen war ein Lastwagen in der vereisten Unterführung umgestürzt und ausgebrannt. Am Ausgang standen noch zwei Löschfahrzeuge mit rotierenden Blaulichtern, Feuerwehrleute rollten Schläuche zusammen.
Ein Kellner führte sie an einen kleinen Tisch hinter einem Paravent, der mit Drachen in dunklem Rot und Blau und Braun verziert war. Ein anderer Kellner brachte die Karte. Lacan runzelte die Stirn, als er die Preise las. Hartmann, dem das Wasser im Mund zusammenlief, bemerkte Lacans Zögern.
»Los, such’ dir schon was aus, geht klar!«
»Vielleicht Saltimbocca?«
»Genau! Vielleicht Saltimbocca und für mich Scampis.«
Lacan war einverstanden.
»Und vorher Schinken mit Feigen und ein paar eingelegte Schnecken.«
Lacan konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal richtig gegessen hatte.
»Und ’ne Flasche Orvieto Classico, was?« fragte Hartmann.
»Gerne!«
Das Lokal füllte sich. Die Kellner liefen umher und legten Stoffservietten auf die weißgedeckten Tische. Zwei ältere Schwule standen vor dem Buffet und entschieden sich für einen großen Karpfen, der auf einem Berg Eis aus der Vitrine glotzte. Am Tisch der Freunde drehte man die Gläser um und sortierte das Besteck. Lacan zündete sich eine Zigarette an, er bewunderte die gewandten Handgriffe des gedrungenen Italieners. Im Hintergrund vermischten sich Stimmen und leise Musik zu einem angenehmen Summen. Der Getränkekellner zeigte Hartmann das Etikett der Flasche.
Lacan spürte, wie ihm das erste Glas Wein in den Kopf schoß, als habe er eine Infusion bekommen. Der Kellner brachte den Schinken und die Schnecken. In den letzten Wochen hatte sich Lacan in der Hauptsache von Kebab ernährt, den er oft nachts in jenem Imbiß bestellte, in dem der Juwelier seinen Raki trank. Bei ihm hatte Lacan auch vor einiger Zeit seine goldene Kommunionuhr versetzt, vergeben und vergessen.
Sie redeten nicht viel. Als das Saltimbocca und die Scampis gebracht wurden, fragte Lacan:
»Wie geht’s denn Petra?«
Hartmann sah auf, eigentlich hätte er mit der Frage rechnen müssen. Petra war das einzige Mädchen in ihrer Bande gewesen. Sie wollte auch noch ein Junge sein, als alle nur mit ihr rauften, um ihre Brüste zu berühren. Irgendwann später hatte Roland Hartmann sie geheiratet. Er wischte sich den Mund mit der Serviette und schüttete nach.
»Sie gibt jetzt Analphabetenkurse an der Volkshochschule in Haidhausen.« Er zuckte mit den Schultern. »’ne Stelle hat sie immer noch nicht. Hat sich auch nicht darum gekümmert. Wieso
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