Sünden der Nacht
DePalma gehört?« fragte er, nachdem sie sich zwei Stühle von ihm entfernt gesetzt hatte.
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Megan schüttelte den Kopf. »Ich würde ja gerne glauben, daß keine Nachricht eine gute Nachricht ist, aber so naiv bin ich nicht. Abgesehen davon, daß ich Pauls Fingerabdrücke habe nehmen lassen, habe ich auch noch Paige Price’ geheimes Leben als berechnende Schlampe live im Fernsehen enthüllt. Ich werde etwas zu hören bekommen. Jede gute Tat wird bestraft.«
Mitch grinste. »Als Diplomat bist du ein toller Kollege.«
Ihre Mundwinkel zuckten. »Danke.« Sie zeichnete mit dem Daumen ein Muster auf den Tisch. »Scheinbar gibt’s mehr als nur ein paar Leute in der Stadt, die bereit sind, Paul als Täter zu identifizieren.«
»Sie möchten glauben, daß es jemand getan hat«, sagte Mitch.
»Lieber soll es einen greifbaren Bösewicht geben als irgend etwas Gesichtsloses, Unheimliches. Lieber glauben sie, es war Paul, weil dann das Böse überschaubar und ordentlich in einer Familie bleibt. Dann können sie sich wieder alle in Sicherheit wiegen, weil der verfaulte Apfel bloß einen einzigen fatalen Korb vergiftete.«
»Das oder sie wittern instinktiv, daß er es war.«
Mitch seufzte. So sehr Megan auch unter Druck stand, sie wußte, daß der Druck für ihn in vieler Hinsicht schlimmer war.
Er hatte eine Familie und Freunde, die in diesem Fall Partei ergriffen und erwarteten, daß er alles mit einer gelben Schleife versehen regelte, wie die gelben Bänder, die die Einwohner von Deer Lake als Zeichen der Hoffnung um die Baumstämme und Lichtmasten gebunden hatten. Er steckte tatsächlich in der Vergangenheit, die sie ihm gestern abend ins Gesicht
geschleudert hatte.
»Wir werden sehen, was das Labor zu seinen Fingerabdrücken meint«, er starrte wieder auf die Ereignis-Kurve an der Wand.
»Wenn keine Fingerabdrücke im Van sind, ist er trotzdem noch nicht aus dem Schneider«, erinnerte sie ihn, was ihr eine grimmige Miene einbrachte. »Die Logik diktiert uns, daß er 552
Handschuhe getragen hat.«
»Die Logik diktiert«, wiederholte Mitch. Logik diktierte vieles, aber die meisten Leute scherten sich nicht darum – er eingeschlossen. Die Logik diktierte, daß er einen weiten Bogen um Megan machen sollte, trotzdem bemühte er sich nicht wirklich, das zu tun. »Ich glaube, die Logik hat sich schon vor einer Weile ausgeklinkt. Vielleicht sollten wir uns dem anschließen. Wie wär’s mit einer Pizza?«
Das lockere, kameradschaftliche Angebot überraschte sie.
Mitch schnitt eine Grimasse, als sie ihn mißtrauisch musterte.
»Waffenstillstand, okay? Es ist schon spät. Und das war wieder ein richtiger Scheißtag.«
»Muß ich meine Polizeimarke ablegen?« fragte sie mit kühler Stimme.
Er zuckte zusammen. »Okay, ich hab mich gestern abend
beschissen benommen«, gab er zu und rutschte in den Stuhl, der zwischen ihnen stand. »Der Fall hebt nicht unbedingt meine Laune. Wir beide haben Dinge gesagt, die wir nicht sagen würden, wenn die Welt normal wäre.«
Er setzte seine beste Feilschermiene auf. »Ich zahl den extra Käse.«
»In der Freizeit miteinander verkehren?« Megan spielte die Schockierte. »Was wird die Öffentlichkeit denken?«
»Geht die einen Dreck an«, knurrte Mitch. »Wenn wir diesen Fall nicht lösen, stehen wir beide sowieso auf der Straße.«
»Nein«, sagte sie. »Versagen kann man überleben, Leute verzeihen immer wieder. Aber Gott steh dir bei, wenn sich rausstellt, daß der Bösewicht jemand ist, den sie wirklich mögen. Diese Art von Wahrheit macht sie immer stocksauer.«
Sie starrte auf die Tür, die meilenweit entfernt schien. Die Vorstellung einer kalten Wohnung voller Schachteln war nicht besonders einladend.
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»Komm schon, Megan«, sagte er. »Es geht doch nur um
Pizza.«
Die Versuchung schlängelte ihre Tentakeln um ihre Logik und zerrte.
Nur eine Pizza. Und dann würde es nur wieder eine Berührung sein, nur ein Kuß, nur eine Nacht, nur Sex.
»Trotzdem danke«, sie knickste. »Ich glaube, ich werde einfach nach Hause gehen und das Bewußtsein verlieren.«
Aber sie blieb stehen. Voller Entbehrung.
»Megan …«
Er sagte ihren Namen leise, mit einer ruhigen, intimen Stimme, die die Sehnsucht in ihr weckte. Sein bernsteinfarbener Blick fing sie ein und hielt sie fest, als er sich von seinem Stuhl erhob. Dann flog sie in seine Arme. Fehler. Schwäche. Die Worte schmerzten, aber ihre Lippen öffneten sich und
begegneten seinen. Ihre Wimpern senkten sich
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