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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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das.«
    »Ich komm wieder.«
    »Lassen Sie sich Zeit.«
    Er huschte zur Tür hinaus und schloß sie leise hinter sich. Das Geräusch hallte durch Megans Kopf wie ein Donnerschlag. Die 569
    Tür die vor ihrer Karriere zuschlug, sie ausschloß.
    Du hast es vermasselt. O’Malley. Du bist im Eimer. Sie haben wie Wölfe darauf gelauert, daß du stolperst, und jetzt werden sie dich durchkauen und ausspucken. Was für ein Abgang! Die Selbstbezichtigungen fühlten sich an wie Peitschenhiebe. Was war denn los mit ihr? Diesen so intensiv erwarteten Job hatte sie gründlich ruiniert – indem sie sich mit Mitch Holt einließ. Und wie oft hatte sie sich ermahnt, ihre Zunge im Zaum zu halten, ihren Jähzorn, und dann war sie live im Fernsehen ausgerastet.
    Dumm. Unbesonnen.
    Sie versuchte, ihre Fassung wiederzufinden. Kampflos würde sie nicht aufgeben, nicht eine von diesen plärrenden, bettelnden Weibern werden, die sie so verachtete.
    Beim Griff nach dem Telefon zitterte ihre Hand wie die eines Opfers von Schüttellähmung, und die Migräne blies sich in ihrem Kopf auf wie ein Ballon. Sie preßte den Hörer ans Ohr, und das Freizeichen gellte durch ihren Kopf. Alles drehte sich; stöhnend ließ sie den Hörer fallen und übergab sich in den Papierkorb.
    7 Uhr 42, -28 Grad, Windabkühlungsfaktor: -39 Grad
    »Ich hab Josh gesehen.«
    Pater Tom rutschte neben Hannah in die Kirchenbank. Sie hatte ihn bei Morgengrauen angerufen und um ein Treffen vor der Morgenmesse gebeten. Die Sonne war vor knapp einer Stunde aufgegangen und tastete sich mit blassen Lichtfingern durch die Bleiglasfenster.
    Würfel und Ovale sanfter Farben flackerten schüchtern über den schäbigen Teppich, der durch das Mittelschiff verlief. Tom hatte sich aus dem Bett gerollt und einfach Hosen, ein T-Shirt und einen Pullover übergestreift. Das Rasieren mußte heute 570
    ausfallen. Er strich sich gedankenverloren durchs Haar. Sein eigenes Aussehen war ihm völlig gleichgültig, seine Sorge galt Hannah.
    Sie war bleich und durchsichtig, die Augen glänzten wie im Fieber. Er fragte sich, wann sie das letzte Mal gegessen oder mehr als ein oder zwei Stunden geschlafen hatte. Ihr goldenes Haar war stumpf, und sie hatte es achtlos zu einem
    Pferdeschwanz gebunden. Ein dicker, schwarzer Pullover kaschierte, wie dünn sie geworden war, aber er sah die spitzen Knochen ihrer Handgelenke und Hände, die sie im Schoß
    verkrampft hatte, zart wie Elfenbeinschnitzereien, mit transparenter Haut. Er reichte ihr seine Hand, und sie packte sie sofort mit ihren beiden.
    »Was soll da? heißen, du hast ihn gesehen?« fragte er
    behutsam.
    »Gestern nacht. Es war wie ein Traum, aber doch nicht. Wie eine – eine Vision. Ich weiß, das klingt verrückt«, ergänzte sie hastig, »aber so war es, ganz real, richtig dreidimensional. Er trug einen Pyjama, den ich nicht kenne, und er hatte einen Verband …« Sie verstummte, frustriert, ungeduldig mit sich selbst. »Ich klinge wie eine Irre, aber es ist passiert, und es war so real. Du glaubst mir doch, nicht wahr?«
    »Natürlich glaube ich dir, Hannah«, flüsterte er. »Was ich davon halten soll, weiß ich nicht, aber ich glaube dir sehr wohl.
    Was meinst du denn, was es war?«
    Eine Vision. Ein Erlebnis außerhalb des Körpers. Ein
    psychisches Irgendwas. Gleichgültig wie sie es nannte, es klang wie das Gebrabbel einer Wahnsinnigen. »Ich weiß es nicht«, sie ließ seufzend die Schultern hängen.
    Pater Tom wägte seine Worte sorgfältig ab, da er auf
    dünnstem Eis balancierte. »Du stehst unter enormen Streß, Hannah. Dein Drang, Josh zu sehen, ist größer als dein Drang zu atmen. Es wäre nichts Ungewöhnliches, wenn du von ihm
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    träumst, wenn der Traum real erscheint …«
    »Es war kein Traum«, beharrte sie.
    »Wie denkt Paul darüber?«
    »Ich hab es ihm nicht erzählt.«
    Sie entzog ihm ihre Hände und legte sie auf ihre Schenkel, starrte die Ringe an, die Paul ihr als Symbol ihrer Vereinigung und Liebe an die Finger gesteckt hatte. Verriet sie ihn mit ihrem Zweifel? Hatte er sie alle verraten? Die Fragen wanden sich in ihrem Magen wie ein Schlangenknäuel, giftige, gräßliche Kreaturen, über die sie keine Kontrolle besaß. Sie wandte ihren Blick hinauf in das himmelstrebende Gewölbe der Kirche, zu dem komplizierten, riesigen Glasfenster von Jesus mit einem Lamm auf dem Arm. Sie starrte auf das reichgeschnitzte Kruzifix und Christus, der vom Kreuz aus auf den Hochaltar herabblickte. So menschenleer war die Kirche

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