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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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wegen, wer wofür zuständig ist, oder?
    Bei einem Fall wie diesem brauchen wir keinen
    unberechenbaren Einzelkämpfer.«
    Mitch schüttelte kurz den Kopf, holte ein Röhrchen
    Magentonikum aus seiner Hosentasche und nahm eine Tablette.
    »Russ ist okay. Er ist nur besorgt wegen seiner nächsten Wahl, mehr nicht. Sendezeit will er sich krallen, und dafür hat er meinen Segen. Ich danke Gott täglich, daß über meinen Job nicht in einer Wahlkabine entschieden wird.«
    Aber ihn hatte der Stadtrat am Gängelband, und
    wahrscheinlich müßte er, noch ehe der Tag sich neigte, jedem einzelnen Mitglied Rede und Antwort stehen.
    Er stützte sich auf die linke Schulter und sah Megan spöttisch an. »Ich dachte, Sie sind der unberechenbare Einzelkämpfer.«
    Sie legte eine Hand aufs Herz und klapperte mit den
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    Augendeckeln. »Wer, ich? Ganz bestimmt nicht. Ich mache nur meine Arbeit.«
    Der Chief runzelte die Stirn. »Ja. Und ich hätte auf Sie hören sollen. Vielleicht, wenn ich so rasch vorgegangen wäre, wie Sie es wollten …«
    »Fangen sie nicht an zu zweifeln«, befahl Megan und machte Anstalten, ihre Hand auf seinen Arm zu legen.
    Die Geste war ganz uncharakteristisch für sie, und sie zog sie hastig zurück. Sie war nicht der Typ, der immer gleich Leute anfaßte. Und selbst wenn sie es einmal gewesen war, hatte ihr Job sie rasch davon kuriert. Sie durfte sich keine Gesten leisten, die man irgendwie falsch auslegen konnte. Das Image war das wichtigste für eine Frau in diesem Geschäft – ihr Vorteil, ihre Rüstung, ihr Anspruch auf Respekt.
    Trotzdem konnte sie Mitchs schuldbewußte Miene nicht
    einfach ignorieren. In Gedanken hörte sie Paige Price’
    honigsüße Stimme – Sind Ihre Gefühle von Schuld betroffen im Zusammenhang mit Ihrem persönlichen … Was? fragte sie sich und wies alle inneren Zweifel in ihre Schranken. Sie durfte einfach nicht zulassen, daß ein anderer Cop Unsicherheit zeigte, mehr nicht. Wirklich.
    »Wir waren schon zu spät dran, bevor wir etwas davon
    ahnten«, sagte sie. »Außerdem ist das Ihre Stadt. Sie kennen sie besser als ich. Und Sie haben entsprechend gehandelt, haben Ihr Bestes getan!«
    Ihre Stimmen waren immer leiser geworden, bis sie nur noch flüsterten. Sie sahen einander in die Augen. Sie sah so ernst aus, felsenfest überzeugt von ihren Worten. Ihre grünen Augen strahlten, entschlossen, ihn aufzurichten. Mitch wollte lachten –
    kein humorvolles Lachen, sondern das zynische Lachen von einem Menschen, der die Ironien des Schicksals gründlich kannte. Megan hatte offensichtlich noch nicht genug gesehen, um abgeklärt zu sein, nicht oft genug versagt, um sich selbst zu 156
    mißtrauen. Sie glaubten natürlich, gut war gut und böse böse, ohne Grauzone dazwischen. Einst hatte er das auch geglaubt.
    Lebe nach den Regeln. Mach deine Arbeit richtig. Kämpfe den guten Kampf. Bleib immer auf dem rechten Weg, und ernte den Lohn eines rechtschaffenen Mannes.
    Sein Mund verzog sich zu der traurigen Karikatur eines Lächelns. Einer der grausamen Scherze des Lebens – es gab keine Belohnungen, nur willkürliche Akte von Güte und Irrsinn.
    Eine Wahrheit, vor der er versucht hatte zu fliehen, aber sie hatte ihn hier eingeholt, in dieser Stadt hatte sie ihre Krallen ausgestreckt und bei Josh Kirkwood und seinen Eltern
    zugeschlagen.
    Er berührte Megans Wange und wünschte, er könnte sich zu ihr beugen und sie küssen. Es wäre schön gewesen, etwas von dieser süßen Überzeugung zu kosten, zu glauben, er könnte sie in sich einsaugen und die alten Wunden heilen. Aber momentan hatte er das Gefühl, sie ohnehin schon zu sehr angesteckt zu haben, also gab er sich damit zufrieden, daß sich ihre Haut unter seinen Fingern erwärmte.
    »Mein Bestes war nicht genug«, murmelte er. »Wieder
    einmal.«
    Megan sah ihn erstaunt nach, als er wegging. Ihre
    Fingerspitzen strichen über ihr Gesicht, ihre Herz klopfte ein bißchen zu heftig. Nur eine aufmunternde Geste für einen Kollegen. Doch schon verrutschte der Mantel und entlarvte die Lügen als das, was sie waren. Irgendwann in diesem Augenblick hatten sich die Grenzen verwischt. Das war gefährlich für jemanden, der sich eine klare Sicht der Welt und seine Rolle darin bewahren mußte.
    »Nur damit es nicht wieder passiert, O’Malley«, flüsterte sie und verdrängte ihren Mangel an Hoffnung, als sie auf die Tür zu ging.

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    Das Büro des verstorbenen Leo Kozlowski ähnelte Leo, so weit ein Raum überhaupt einem Menschen

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