Sünden der Nacht
besitze Schneeschuhe und gehe Eisfischen.«
»Masochist.«
Sie warf den Stapel Fotokopien auf den Tisch und verschwand den Gang hinunter im Schlafzimmer, wie Mitch annahm. Er blieb in der Mitte des Wohnzimmers stehen und sah sich nach irgendwelchen Hinweisen auf die Persönlichkeit Megan
O’Malleys um, während er die Ärmel hochkrempelte.
Küche und Wohnbereich gingen ineinander über, nur geteilt durch einen runden, alten Eichentisch mit verschiedenen antiken 194
Stühlen, die nicht zusammenpaßten. Die Küchenschränke waren weiß gestrichen und sahen aus, als wären sie aus einem anderen alten Haus gerettet worden. Die Wände schimmerten zartrosa.
Megan hatte sicher nicht die Zeit gehabt, sie selbst zu streichen, aber seiner Meinung nach paßte es zu ihr. Und sie würde es sicher abstreiten, wenn er ihr das sagte. Die Farbe war zu feminin, diese Seite von sich zeigte sie der Öffentlichkeit nicht.
Aber er hatte bereits ein paar kurze Blicke darauf ergattert.
Die Möbel im Wohnzimmer waren alle alt und, wie er sah, liebevoll gepflegt. Auf jedem verfügbaren freien Platz stapelten sich Kartons, Bücher, Geschirr, Überdecken und noch mehr Bücher. Es sah aus, als hätte sie bis jetzt nur das
Allernotwendigste ausgepackt.
»Stellen Sie einfach die Kartons beiseite, wenn Sie sich setzen wollen«, rief sie.
Sie kam aus dem Schlafzimmer und rollte sich die Ärmel eines Flanellhemds auf, das drei Nummern zu groß war. Der schwere Pullover und der Rollkragen waren weg, sie trug nur noch die schwarzen Leggings, die wie eine zweite Haut saßen. Ein Pärchen Kurzhaarkatzen strichen um ihre Beine, bettelten um Aufmerksamkeit. Die größere war schwarz mit einem weißen Lätzchen, einem krummen Schwanz und einer vorwurfsvollen Stimme. Die kleine, ein grauer Tiger, warf sich vor ihr auf den Teppich und rollte sich laut schnurrend auf den Rücken.
»Vorsicht vor meinen Aufpassern«, sagte sie grinsend. »Wenn sie Sie mit einer riesigen Portion Whiskas verwechseln, sind Sie verloren.«
Sie wandte sich zur Küche, und die beiden trabten mit
hocherhobenen Schwänzen hinterher. »Die Schwarze heißt Friday«, sagte sie und öffnete eine Dose Katzenfutter, »die Graue Gannon.«
Mitch amüsierte sich. Sah ihr ähnlich, die beiden nach Personen aus der alten Polizeiserie zu taufen. Nichts Sanftes 195
oder Flauschiges, keine niedlichen Namen, sondern echte Cop-Namen.
»Meine Tochter wäre begeistert«, sagte er, und sofort regte sich wieder sein schlechtes Gewissen. Er warf einen Blick auf die Uhr und mußte feststellen, daß er zum zweiten Mal
hintereinander Jessies Schlafenszeit verpaßt hatte. »Wir haben einen Hund, und das reicht für unser Haus. Sie bettelt ihre Großeltern seit Ewigkeit um eine Katze, aber ihr Großvater ist allergisch dagegen.« Das war zumindest Joys Ausrede, einfach die Schuld auf Jurgen abwälzen! Mitch vermutete, daß es wohl eher daran lag, daß Joy keine Lust hatte, Katzenklos auszuleeren und Haare von ihren Möbeln zu bürsten.
»Sie können sich glücklich schätzen, daß Sie jemanden haben, der sich um sie kümmert«, sagte Megan. Sie warf die leere Dose in den Müll, bückte sich und kramte in einer brauen Kühltasche neben dem Eisschrank.
»Ja, muß ich wohl«, Mitch nahm die Flasche Bier, die sie ihm reichte. »Ich wäre lieber selbst bei ihr.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich«, bekräftigte er und versuchte den Ausdruck in ihren Augen zu deuten. Überraschung? Verletztheit? Mißtrauen?
»Warum denn nicht? Sie ist meine Tochter.«
Sie hob eine Schulter, aber senkte den Blick auf den Verschluß ihrer Bierflasche, den sie gerade öffnete. »Ein Kind allein aufziehen ist eine Last, die die meisten Männer nicht tragen wollen.«
»Dann gibt es einen Haufen Männer, die nicht Vater sein sollten.«
»Ja genau … das kann man laut sagen.«
Mitch stand mit der Bierflasche in der Hand da und ließ Megan nicht aus den Augen, die den Verschluß in den
Papierkorb warf und einen tiefen Zug nahm. Die Bemerkung 196
klang so, als hätte sie damit selbst schon Erfahrungen gemacht.
»Sie sagten, Ihr Vater wäre Cop?«
»Zweiundvierzig Jahre in Blau.« Sie lehnte sich an die Arbeitsplatte, verschränkte Beine und Arme. »Er hat seine Sergeantenstreifen gekriegt und ist nie weiter aufgestiegen.
Wollte er auch nie. Wie er jedem erzählt, der zuhört, wird die ganze echte Polizeiarbeit in den Gräben gemacht.«
Das bißchen Humor konnte ihre Verbitterung nicht ganz
kaschieren, wie sie
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