Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
Sie könnten mit den Leuten reden. Es müssten sich Geschichten überliefert haben.»
«Aber wenn die Leute, die dort wohnen, keine Hilfe erbeten haben und es auch nicht so aussieht, als würden sie es je tun …»
Merrily hielt inne, um einen Realitätstest zu machen – wenn die Stookes logen, war das reine Theorie.
Hinter der Windschutzscheibe schimmerten und wanden sich immer noch die Kaulquappen. Waren das die Lichter von Ledwardine? Das konnte nicht sein. Die sah man aus dieser Entfernung bei diesem Wetter bestimmt nicht.
«Sie könnten auch allein aktiv werden, wenn Sie es für notwendig halten. Oder Sie könnten – nachdem um Coleman’s Meadow sowieso schon gestritten wird – anbieten, die Steine zu segnen. Und dann machen Sie eben ein bisschen mehr als einen Segen daraus.»
«Das ist keine schlechte Idee.»
«Sie müssten entscheiden, ob ein Individuum betroffen ist», sagte Huw, «ob Sie also darum beten sollten, dass Frieden an den Ort einkehrt, oder darum, dass ein Geist erlöst wird. Sie könnten argumentieren, dass die Steine, wenn sie aus Denkmalschutzgründen wieder aufgestellt werden sollten … keinen Wächter mehr brauchen. Er kann in Pension gehen. Einen netten, langen Ruhestand antreten.»
«Ja.»
«Halten Sie mich unbedingt auf dem Laufenden», sagte Huw. «Und jetzt machen Sie, dass Sie nach Hause kommen.»
Und damit war das Gespräch beendet.
Merrily rauchte eine halbe Zigarette, bevor sie sich wieder anschnallte und prüfte, ob der Gitarrenkoffer mit der Boswell sicher in der Lücke zwischen den Vorder- und Rücksitzen stand. Dann schaltete sie die Scheibenwischer an und fuhr auf die Straße. Die Lichter vor der Windschutzscheibe waren näher gekommen, und sie bewegten sich wirklich, und manche davon waren blau. Merrily schaltete das Fernlicht an.
Zwei Männer, die etwas zwischen sich trugen, kamen auf sie zu.
Ein Schild.
STRASSENSPERRUNG
Merrily bremste.
Aber Moment mal, das war der Zubringer zur Umgehungsstraße, der wichtigen Lebensader. Und er lag sehr hoch, also konnte er nicht überschwemmt sein.
Sie kurbelte das Fenster herunter. Einer der Männer kam zu ihr herüber. Es war ein Verkehrspolizist in reflektierender Sicherheitsweste. Merrily beugte sich in den Regen hinaus.
«Was ist passiert?»
«Straßensperrung.»
«Ja, das sehe ich. Aber warum? Hat es einen Unfall gegeben?»
«Darf ich Sie bitten umzudrehen, Madam? Wenden Sie einfach und fahren Sie auf die Hauptstraße zurück.»
«Aber wie lange …?»
«Und nehmen Sie eine andere Straße.»
«Aber die andere Straße ist überschwemmt, oder? Wie komme ich jetzt nach Ledwardine?»
«Überhaupt nicht», sagte der Verkehrspolizist. «Dort kommt heute Nacht keiner mehr hin.» Er seufzte. «Und ich würde sagen, vor Weihnachten ändert sich daran nichts mehr.»
Heiligabend
Wenn sich mächtige Interessengruppen
zusammentun, werden die Ratschläge der
Archäologie oft unterminiert oder ignoriert.
Huw Sherlock, Archäologe
Third Stone
45 Caple End
Wenn man den Flussmann besuchen wollte, musste man nicht mehr weit gehen. Jane watete im Licht eines gelblichen Mondes durch die Church Street. Sie war froh, dass Eirion nicht aufgewacht war, als sie aus seinem Bett schlüpfte, um in ihr Apartment zurückzuschleichen.
Sie hatte ihn nachts dicht bei sich gebraucht, aber danach hatte sie schlecht geträumt. Sie war in strömendem Regen über den Friedhof gegangen, dann gerannt und hatte nach Lucys Grab gesucht. Sie wusste ungefähr, wo es war, und sie war immer wieder abgebogen, immer mehr Schlamm klebte an ihren Schuhen, aber auf den Grabsteinen standen immer die falschen Namen.
Sie hatte wieder von den Toten geträumt, und jetzt war sie allein auf der Insel Ledwardine, unter diesem gelblichen Mond.
Sie hatte geglaubt, dass noch ein paar Leute unterwegs wären. Bis nach Mitternacht waren jedenfalls viele noch nicht nach Hause gegangen, sie hatten in Gruppen zusammengestanden, mit ihren Handys telefoniert und auf Neuigkeiten gewartet. Barry vom
Black Swan
hatte die Bar bis ein Uhr nachts offen gehalten, allerdings hatten die meisten nur Kaffee getrunken. Jane hatte Gomer einen Becher hinausgebracht. Er stand mit Gwyneth auf dem Marktplatz. Wer würde die Gomer-Parry-Landwirtschaftsdienste für all die Arbeit bezahlen? Vermutlich niemand. Gomer tat das für Ledwardine.
Jane betrachtete die Spiegelung des Mondes im tiefen Wasser am Ende der Church Street. Der größte Teil der Dorfbrücke war inzwischen nicht
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