Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
unbemerkt dorthinzubringen und wieder zu verschwinden.»
«Es handelt sich um … einen Männerkopf, oder?»
«Soweit wir wissen, Colin.»
«Und ist es jemand, der tatsächlich … also … enthauptet wurde?»
«Meinen Informationen zufolge wurde es nach seinem Tod gemacht.»
«Weiß man schon, wer das Opfer ist?»
«Also, ich glaube, die Polizei weiß es, und es scheint einen ziemlichen Wirbel darum zu geben. Ich gehe davon aus, dass der Name im Laufe des Tages bekanntgegeben wird, aber natürlich muss zuerst die Familie benachrichtigt werden. Selbstverständlich wurde intensiv nach dem Rest des Körpers gesucht, aber bisher anscheinend ohne Erfolg.»
«Und was ist mit den Leuten aus der Nachbarschaft, Bella? Diese Menschen leben und arbeiten in einem dicht bebauten Stadtviertel. Wie reagieren sie darauf?»
«Nun, Sie können sich vorstellen, welche Fassungslosigkeit hier darüber herrscht, dass in Hereford eine so entsetzliche und barbarische Tat verübt wurde. Heute Vormittag habe ich mit Anwohnern in den Straßen hinter dem Blackfriars-Kloster und der unteren Widemarsh Street gesprochen, und …»
Merrily schaltete das Radio ab, bevor die Litanei über den Schock und die Ungläubigkeit und das Wohin-ist-es-mit-der-Welt-Gekommen folgte.
Für irgendjemanden war das ein böses Weihnachten. Kein Wunder, dass Bliss keine Zeit hatte, darüber zu spekulieren, was Jonathan Long in Ledwardine wollte.
Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.
Von wegen.
Unter einem Himmel, der die Farbe von feuchtem Gips hatte, kam Merrily an den White-Cross- Kreisverkehr und bog zum Krematorium ab.
11 Ein Gespür für die Ewigkeit
Es waren ziemlich viele Leute gekommen. Tom war einer von den Alteingesessenen in Ledwardine gewesen – jedenfalls hatte Merrily das geglaubt, bis sie mit der Familie gesprochen hatte.
«Tom war ein …
Charakter
», sagte sie in der Kapelle des Krematoriums. «Jemand, von dem wir nach seinem Tod sagen: So einen wie ihn gibt es nicht noch mal. Jemand, der ein gewachsener Teil des Dorfes war. Vom alten Ledwardine. Das … habe ich jedenfalls immer angenommen.»
Tatsächlich aber war Tom Parson, wie sie erfahren hatte, erst später zugezogen. Okay, das war dreißig Jahre her, und er kam auch nur aus Shropshire. Aber sein Leben transportierte die Botschaft, dass eine Gemeinde – oder auch eine Landschaft und das spirituelle Wesen eines Ortes, wie Jane betonen würde – Menschen aufnehmen und formen konnte.
Wenn es langsam geschah. Wenn es auf natürliche Weise geschah. Und wenn man ein paar Verbindungspfade zur Vergangenheit offen hielt. Wenn man den
Kontakt
hatte.
Das alles sagte Merrily nicht. Dafür würde später noch Gelegenheit sein – so entschuldigte sie es vor sich selbst. Auf jeden Fall würde es nach Weihnachten im Dorf noch einen Gedenkgottesdienst für Tom geben und danach die Urnenbestattung auf dem Friedhof. Dann würde sie es bessermachen. Toms Nichte hatte ihr seine Aufzeichnungen zur Dorfgeschichte gegeben, weil sie glaubte, die Papiere wären im Archiv der Kirchengemeinde besser aufgehoben. Vielleicht könnte Jane sie durchsehen.
Aber für heute war es das. Merrily fuhr ins Stadtzentrum und stellte das Auto gegenüber der Kathedrale ab, um deren Sandsteinturm sich schwarze Wolken ballten.
Im Büro für spirituelle Grenzfragen oben im Torhaus brannte Licht, und Merrily sah Sophie am Fenster stehen, bewegungslos, wie eine Schaufensterpuppe in einer Boutique für die reife, elegante Dame.
Aber diese Gelassenheit war trügerisch. Als Merrily halb die Treppe hinauf war, blickte Sophie ihr von der offenen Bürotür aus sichtlich angespannt entgegen.
«Merrily …»
«Ich bin nur vorbeigekommen, um zu fragen, ob Sie Lust haben, mit mir zu Mittag zu essen.»
«Das kann ich nicht. Tut mir leid.»
«Sophie?» Als sie ihr ins Büro folgte, fiel Merrily auf, dass Sophies sonst stets perfekte Frisur leicht unordentlich und ein silberblauer Schal achtlos über den Posteingangskasten geworfen worden war. «Ist irgendwas?»
Sie sah Sophie direkt an. Bei jeder anderen Frau hätte dieser Gesichtsausdruck allenfalls leichte Beunruhigung ausgedrückt. Bei Sophie bedeutete er äußerste Bestürzung.
«Merrily, sind Sie gerade in Eile?»
«Nein, ich …»
«Könnten Sie sich eine Stunde um das Büro kümmern? Ich würde Sie nicht bitten, wenn es nicht wichtig wäre. Sie sind doch nicht in Eile, oder?»
«Das habe ich doch schon gesagt … nein.»
«Gut. Danke.»
Sophie
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