Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
nahm ihren Mantel vom Garderobenhaken. Merrily legte ihren schwarzen Beerdigungsumhang ab und setzte sich an den Schreibtisch. Vor ihr lag der in Leder gebundene Schreibblock, den Sophie benutzte, um die Diktate des Bischofs mitzuschreiben. Sonst nichts.
«Kann ich sonst etwas tun?»
«Wenn Sie sich nur eine Stunde um das Büro kümmern könnten. Falls ich länger als eine Stunde brauche, rufe ich an. Sollten Sie gehen müssen, schließen Sie bitte ab. Sie wissen doch, wo die Schlüssel sind, oder?»
«Natürlich weiß ich das. … Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Ich meine …»
«Ja», sagte Sophie. «Mir geht es gut.»
Hatte die Sekretärin des Bischofs schon jemals derart blass ausgesehen?
Jane sagte: «Hast du schon mal von einer Fotografin namens Lensi gehört?»
«Was?»
« L - E - N - S - I .»
Sie hatte sich mit ihrem Handy in einer der Mädchentoiletten eingeschlossen und sprach so leise wie möglich.
«Soll das ein Witz sein?», fragte Eirion.
«Irene, würde ich dich um diese Zeit aus der Schule anrufen, um einen Witz zu reißen?»
Freute er sich, dass sie anrief? Blinkten um ihre Nummer auf dem Display seines Edelhandys rote Sternchen? War er aufgeregt, weil er ihre Stimme hörte, so wie es für sie echt ein gutes Gefühl war, ihn zu hören, und sogar, sich selbst zu hören, wie sie ihn
Irene
nannte – was sie allerdings nur zugegeben hätte, wenn man ihr den Arm auf den Rücken gedreht hätte?
Vor ein paar Monaten hatten sie sich noch ständig angerufen, als würde das für alle Ewigkeit so bleiben. Aber die Zeiten änderten sich.
«Was macht sie?», fragte Eirion.
«Fotos. Sie ist Fotojournalistin.»
Zugegeben, das war eine Ausrede, um ihn anrufen zu können. Jaja, sie hatte nach so einer Ausrede gesucht, und eine bessere würde ihr vor Weihnachten vermutlich nicht mehr einfallen.
«Ich kenne eigentlich nicht viele Fotografen, bloß ein paar Kameraleute vom Fernsehen», sagte Eirion. «Ich bin … wie du weißt, schließlich bloß einer von vielen Studenten.»
«
Du
glaubst doch selbst nicht, dass du bloß einer von vielen Studenten bist.»
Er las sämtliche Zeitungen, wie ein Profi. Er erinnerte sich an die Namen der Journalisten, die irgendeinen Artikel geschrieben hatten, wer gut schrieb, wer die wichtigsten Storys gebracht hatte.
«Wie heißt sie mit vollem Namen, Jane?»
«Hab ich doch schon gesagt, das weiß ich nicht. Sie fotografiert für den
Independent
.»
«Das ist ja schon mal was. Wie sieht sie aus?»
«So ungefähr … Anfang dreißig? Rotblond. Ziemlich groß. Nicht dick, aber … üppig.»
«Und warum willst du noch mal was über sie wissen?»
«Weil sie gerade ins Dorf gezogen ist und sich vielleicht für Hexerei oder so was interessiert. Allerdings scheint sie darüber nicht besonders viel zu wissen. Vermutlich geht es ihr bloß um Nacktheitsrituale und Fruchtbarkeitszauber. Und sie will mich fotografieren.»
«Ohne Kleider?»
«Ich sehe schon, das ist Zeitverschwendung …»
«Aber
falls
du nur einen Grund gesucht haben solltest, um mich anzurufen», sagte Eirion, «fühle ich mich sehr geschmeichelt.»
«Ich habe
überhaupt keinen
…»
«Jane, du hast deine rauchige Stimme aufgelegt.»
«Ich versuche,
leise
zu reden, du eingebildeter walisischer Schwachkopf! Ich bin in der Schule. Telefonieren verboten. Ich verstecke mich im Klo!»
Schweigen. Eirion atmete tief ein.
«Ein richtiger Name würde helfen. Jane, hör mal … wir haben uns seit dem Sommer nicht besonders viel gesehen, oder?»
«Du bist schließlich derjenige, der zur Uni weg ist, schon vergessen?»
«In
Cardiff
. Das sind weniger als zwei Stunden mit dem Auto, und ich bin an den Wochenenden zu Hause. Das weißt du genau.»
«An so einer Uni kann viel passieren. Du bist jung – sehr jung – und ungebunden. Und an Universitäten wimmelt es nur so von Flittchen.»
«Lass uns nicht schon wieder damit anfangen», sagte Eirion. «Ich kann dir versichern, da war niemand seit über …»
«Zwei Tagen?»
«Seit über vier Monaten, wollte ich sagen. Was, für den Fall, dass du es vergessen haben sollest …»
«Nein, ich …», Jane sprach nicht weiter. Aber konnte sie das glauben? «Ich habe es nicht vergessen.»
«Also habe ich mir gedacht … Na ja, mein Dad und Gwennan wollten über Weihnachten mit den Mädchen nach Frankreich, und ich dachte, du könnest vielleicht herkommen.»
«Wo wir sturmfreie Bude hätten oder so?»
«Nur dass es jetzt anders gekommen ist. Sioned hat sich
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