Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
beim Schlittschuhlaufen den Fuß verstaucht, und sie haben die Reise ins neue Jahr verschoben, dann musst du vermutlich wieder in die Schule. Also habe ich gedacht, dass ich vielleicht rüberkommen könnte. So für ein paar Tage.»
«Und wo willst du wohnen? Willst du dich im
Black Swan
einmieten?»
«Genau, mit meinem fetten Stipendium. Nein, ich dachte eigentlich an das … Pfarrhaus? Ihr habt doch so viele leerstehende Zimmer. Ich würde natürlich was dafür bezahlen. Übernachtung und Frühstück?»
«Das ist …»
«Was meinst du? Nur um festzustellen, ob da … du weißt schon … noch etwas übrig ist. Du weißt schon, was ich meine.»
«Irene, das war eine Kinderliebe. So was ist bloß eine Phase.»
«Eine Phase.»
«Und echt, wenn du wirklich nicht weißt, ob da noch irgendwas
übrig
ist …»
«Auf
deiner
Seite. Ich meinte
deine
Seite. Über meine Seite weiß ich Bescheid.»
«Oh.»
«Jane, glaubst du, ich würde mich hier hinsetzen, mir einen abschwitzen und mich peinlich herumwinden und so weiter, wenn ich nicht immer noch …»
Sie sagte nichts. Dann bemerkte sie, dass sie lächelte.
Sie erkannte, dass er nie wirklich weg gewesen war. Dass ihr Leben voller Eirion-Bezüge war. Auch wenn das nicht unbedingt toll war, oder? Sie waren jung, in dem Alter, in dem man normalerweise alles ganz locker nahm, ungebunden war,
Erfahrungen
sammelte.
Warum
lächelte sie dann jetzt?
«War nur so eine Idee, okay?», sagte Eirion.
«Aber wenn sie mit der Grabung auf Coleman’s Meadow anfangen», sagte Jane, «da sollte ich … helfen, weißt du?»
«Und diese Aufgabe ist für Leute reserviert, die sich seit neuestem für Archäologie interessieren, weil sie ein paar Folgen
Time Team
oder
Trench One
gesehen haben und sich keinen schnelleren Weg vorstellen können, um ins Fernsehen zu kommen?»
«
Au contraire
, du ignoranter Waliser. Ich glaube, dass ich die Altertumsforschung mit neuen und bedeutenden Erkenntnissen bereichern kann.»
«Im Unterschied zu deinem üblichen pseudoheidnischen New-Age-Quatsch?»
«Und das soll ich also eine ganze Woche aushalten?»
«Jane, du wirst es so was von genießen.»
«Ich rede mit Mom», sagte Jane.
Sie war irgendwie total aufgeregt. Jämmerlich, echt.
Sophie, die mit ihrem langen grauen Mantel und dem Seidenschal an eine Nonne erinnerte, ging eilig durch den Park der Kathedrale Richtung Castle Street.
Sie wohnte dort hinten, in einem der noblen alten Fachwerkhäuser hinter dem Klostergelände und der Schule. Ihr Mann war Architekt, hatte sich schon halb aus dem Berufsleben zurückgezogen und den Golfclub zu seinem zweiten Zuhause gemacht. Ein adoptierter Sohn lebte in Kanada.
Merrily sah ihr vom Bürofenster aus nach. Eine häusliche Krise? Häuslich bedeutete bei Sophie normalerweise: die Kathedrale. Der sie
diente
. Was immer auch geschehen war, es musste ernst sein, wenn Sophie um noch nicht einmal ein Uhr mittags von der Kathedrale
weg
ging.
Als sie zwischen den kahlen Bäumen verschwand, schaltete Merrily den Computer ein und öffnete die Datenbank für spirituelle Grenzfragen.
Immer noch nur ein Eintrag für diesen Monat. Ein vage gehaltener Bericht über etwas, das Huw Owen
Entladungen
nannte – angeblich eine Art Poltergeist-Aktivität in einem kleinen Lagerhaus im Holmer-Gewerbegebiet. Die Anfrage um Unterstützung war zurückgezogen worden, bevor der Fall näher untersucht werden konnte. Eine Schande. Es gab immer einen Grund, wenn solche Phänomene gemeldet wurden. Aber das Amt für spirituelle Grenzfragen war nicht die Polizei; man kam nur, wenn man darum gebeten wurde.
Der Bericht allerdings würde in der Datenbank bleiben, falls es in Zukunft eine weitere Meldung aus dieser Gegend geben würde.
Und wenn schon nichts anderes, brachte einem dieser Job ein Gespür für die Ewigkeit.
Wenn schon nichts anderes?
In vieler Hinsicht brachte einem die Beratung für spirituelle Grenzfragen viel zu viel – zu viele Fragen, zu viele Merkwürdigkeiten. Zu vieles, was kaum noch etwas zu tun zu haben schien mit dem Glauben und mit der Sehnsucht nach Transzendenz, sondern viel mehr mit der primitiven Angst vor dem Unbegreiflichen. Manchmal schienen die Aufgaben eines Priesters und eines Exorzisten kaum miteinander vereinbar.
Merrily schaltete den Computer aus und tippte Al und Sally Boswells Nummer in Knight’s Frome in ihr Handy, um nachzufragen, wie weit Lols Weihnachtsgeschenk war.
«Also, ich glaube, es ist beinahe fertig», sagte Sally.
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