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Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)

Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)

Titel: Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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verschluckte sich am Rauch und hustete. Ein leerer Transporter ratterte über die Brücke, und seine grell leuchtenden Scheinwerfer zogen gelbe Schlieren über die verdreckte Windschutzscheibe von Bliss’ Honda.
    «Ayling wurden die Augen ausgestochen und durch Steinchen ersetzt. Sah aus wie Splitt.»
    «Splitt?»
    Oh nein …
    «Der, wie eine genauere Untersuchung gestern Abend ergab, Quarzfragmente enthält.»
    «Oh Gott.»
    «Und beinahe mit Sicherheit von der sogenannten Dinedor-Schlange stammt. Irgendwer hat Clem Ayling ein paar Stückchen von der Schlange in die Augenhöhlen gestopft.»
    Merrily drückte die Zigarette aus und verbrannte sich dabei den Daumen.
    «Als zynischer, abgebrühter Bulle lasse ich mir natürlich nie irgendwas anmerken, aber ich gebe zu, dass sogar ich mich bei dem Anblick gegruselt habe.»
    «Und das war auch … beabsichtigt?»
    «Ja. Der Effekt war garantiert beabsichtigt. Aylings abgeschlagener Kopf mit Augen wie kleine Lämpchen am Weihnachtsbaum. Das vergisst man nicht so schnell, Merrily, das kann ich Ihnen sagen.»

22 Watery Lane
    Es sollte sie eigentlich nicht stören. Nachdem sich weniger als zehn Prozent der Ledwardiner überhaupt je in der Kirche blickenließen, musste es in diesem Dorf dutzendweise Atheisten geben.
    Oder sie kamen einfach nur nicht zur Messe. Grüßten die Pfarrerin auf der Straße, ignorierten die Kirche. Der durchschnittliche Atheist war vollkommen friedliebend. Machte keine große Sache daraus. Mit Ausnahme von Fundamentalisten, wie dem Genforscher Richard Dawkins, der sein Buch
Der Gotteswahn
mit einem Loblied auf den Mut und die Herrlichkeit des Atheismus eröffnete. Und Mathew Stooke, der es noch ein bisschen weiter getrieben hatte. Er forderte auf seiner Webseite – wie ernst das gemeint war, ließ sich nicht feststellen – einen offiziellen Feiertag, eine Art Tag des Atheismus.
    Merrily zündete sich eine Zigarette an und betrachtete Mathew Stookes Gesicht auf der Webseite. Es war kein großartiges Foto. Schwarzes Haar, schwarzer Bart, aber besser, als sich den Kopf des großen, lächelnden Clement Ayling mit seinen schimmernden Quarzaugen vorzustellen.
    Ganz egal, wie sehr er sich verändert hatte, Merrily glaubte, dass sie Stookes Augen wiedererkennen würde. Diesen ruhigen Blick, der an einem vorbei in die Ferne sah. Der keine Wut erkennen ließ.
    Zehn Jahre lang war ich Korrespondent für Religionsfragen beim
Guardian
und beim
Independent
. Ich reiste in alle Welt, traf und interviewte religiöse Führungspersönlichkeiten – Erzbischöfe, Kardinäle, Ayatollahs, den Dalai Lama und viele einflussreiche Evangelisten in den USA . Und dann hatte ich eines Tages etwas, das religiöse Menschen eine religiöse Erfahrung nennen.
    Die meisten Menschen verlieren ihren Glauben durch eine persönliche Tragödie, wenn zum Beispiel alle Gebete versagen und die Leiden eines geliebten Angehörigen nicht gelindert werden. In meinem Fall war es, als würde ich einfach aus einem lächerlichen Traum erwachen, und ich erkannte in einem einzigen Augenblick der Offenbarung – ein Wort, dass von der christlichen Kirche inflationär gebraucht wird –, dass alles bloß eine verachtenswerte Erfindung war.
    Und sofort fiel mir eine große Last von den Schultern, und einige Momente lang fühlte ich mich so frei und glücklich wie noch nie im Leben.

    Das war natürlich, bevor mich die Wut packte.
    Er war nicht mal Physiker oder Genforscher. Er war einfach nur Journalist.
    Der
Independent
hatte ihn als Korrespondenten für Religionsfragen behalten, nachdem er sich als Atheist geoutet hatte. Tja, das hätte man sich eigentlich denken können. Merrily saß im Spülküchenbüro, das nur von dem Computerbildschirm erhellt wurde, und dachte an die Konflikte in Nordirland, die ihre Kindheit begleitet hatten. Katholiken gegen Protestanten, Religion ein Synonym für Hass und Gewalt.
    Um die gleiche Zeit hatte John Lennon
Imagine
geschrieben und seine Zuhörer aufgefordert, sich vorzustellen, es gäbe keinen Himmel. Das hatte Merrily versucht, aber es war ihr nicht gelungen. Es gab nichts Kälteres als einen leeren Himmel: rein, pur, trostlos, sinnlos.
    Wie die vielen islamistischen Selbstmordattentäter, die ihr Leben gaben und damit im Westen den Säkularimus stärkten. Spreng dich mit ein paar Dutzend unschuldigen Ungläubigen in die Luft, und im Paradies stehen die Jungfrauen bei dir Schlange.
    Schwachsinnig.
    Und deshalb war alle Religion schwachsinnig.
    Mathew Stooke

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