Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
Mond.»
Harri erklärte ihm die Theorie von der kurvigen Form, die sich unter dem Mondlicht reflektierend zum Hügel hinaufwand.
«Ein prähistorisches Event mit Klang- und Lichteffekten?», sagte Bliss.
«Für den Klang hätten wohl feierliche Gesänge gesorgt. Das war ein heiliger Hügel, verstehen Sie? Viele Hügel galten als heilig. Und der Fluss. Wasser hatte immer eine sehr große Bedeutung, und der Wye ist ein magischer Fluss, also ist er wohl mehr als alle anderen Flüsse hier im Westen verehrt worden. Und deshalb, wenn man sich vorstellt …»
Harri ging bis zur Spitze des Erdhügels und schwang die Arme, als würde er eine üppig geformte Frau nachzeichnen.
«… wenn man sich etwas Mystisches – und zugleich tatsächlich Sichtbares – vorstellt, das den mächtigen Fluss Wye mit dem höchsten Hügel hier in der Gegend verbindet … Etwas, das eine Verbindung dieser starken Machtsymbole ausdrückt, eine Vereinigung von Hügel, Fluss und Mond.»
«Die nun durch eine neue Straße zerstört werden soll, dank dem Bezirksrat von Hereford», sagte Bliss. «Wäre das eine zutreffende Einschätzung?»
«Hey …» Harri Tomlin hob die Hände. «Ich war’s nicht.»
«Tja, also stehe ich hier doch nicht vor der blitzschnellen Lösung des Falls. Wo arbeiten Sie mit Ihrem Team als Nächstes, Harri?»
«Vermutlich machen wir noch eine Probegrabung näher am Fluss, um festzustellen, wie weit die Schlange reicht. Da müssen wir allerdings auf einem privaten Grundstück graben, und es wird wohl eine Weile dauern, bis wir das vorbereitet haben.»
«Und wenn Sie sagen, diese Stätten sind heilig, was bedeutet das? Was haben die Leute damals hier gemacht?»
«Rituale abgehalten.»
«Was für Rituale genau?»
«Was weiß ich. Hinter dem Wort verstecken wir unsere Unkenntnis. Wir wissen nicht, was für Rituale es waren, das ist doch klar.»
«Ging es vielleicht auch um Menschenopfer?»
«Ach, die Leute stellen sich immer gern vor, dass überall Menschenopfer gebracht worden sind, aber das war vermutlich gar nicht besonders weit verbreitet. Die Menschen der Bronzezeit stellt man sich meistens primitiv und grausam vor, aber in Wahrheit müssen sie sogar eine ziemlich komplexe Gedankenwelt gehabt haben.»
«Grausamkeit, Harri», sagte Bliss leise, «kann manchmal auch eine ziemlich komplexe Gedankenwelt widerspiegeln.»
Harri Tomlin ließ seinen Blick über die rohe Erde und die gefällten Bäume wandern, seine leuchtend gelbe Sicherheitsjacke schimmerte vom Regen. Dann sah er Bliss an.
«Wonach suchen Sie? Glauben Sie, dass jemand Ayling getötet hat, weil er sich so negativ über diese Entdeckung geäußert hat? Ich meine, halten Sie das tatsächlich für möglich?»
«Möglich ist es, Harri.»
«Können Sie mir sagen,
warum
Sie diese Verbindung zu der Schlange hergestellt haben? So wie ich das sehe, ist das nämlich …»
«Das geht nicht gegen Sie, Harri, aber ich habe nicht zu entscheiden, wann und wie viel wir bekannt geben. Ich kann Ihnen aber sagen, dass es bei dem Mord ein rituelles Element gab. Und die Verbindung mit dieser Grabung … ist unbestreitbar.»
«Haben Sie sich deshalb gestern von uns ein paar Quarzsplitter geben lassen?»
«Und falls Ihnen noch etwas einfällt, das uns helfen könnte, hoffe ich, dass Sie es nicht für sich behalten.»
Bliss ließ das Schweigen andauern und sah Harri Tomlin prüfend an.
«Wollen Sie, dass ich mal meine Phantasie spielen lasse?», sagte Harri. «Ich meine, das werde ich doch nicht irgendwann vor Gericht wiederholen müssen, oder?»
«Ich schreibe nicht mit, Harri. Sie können also Ihre Phantasie spielen lassen, soviel Sie wollen.»
«Also gut», sagte Harri. «Köpfe.»
«Köpfe im Plural?»
«Ich denke nicht so sehr an die Erbauer der Schlange, ich denke an die Erbauer der Siedlung oder der Festung auf dem Dinedor Hill. Die Kelten aus der Eisenzeit, die vor zweitausend oder dreitausend Jahren vom europäischen Festland hierhergekommen sind. Die sind total auf Köpfe abgefahren. Sie haben geglaubt, der Kopf sei der Sitz des Bewusstseins – oder der Seele, wenn Sie wollen. Also haben die Kelten ihren Feinden gern den Kopf abgeschlagen.»
«Ist das bewiesen?»
«Ja, allerdings haben sie es nach dem Tod gemacht. Und aus Ihrer Sicht kommt es gleich noch besser. In einem zeitgenössischen römischen Bericht wird beschrieben, dass die Köpfe bedeutender Gegner in Zedernöl konserviert und in Kästen aufbewahrt wurden, um sie zur Schau stellen zu
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