Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
Stookes in Ledwardine.
Merrily hatte zwanzig Minuten über das eigentliche Problem nachgedacht, war im Pfarrhaus herumgelaufen und hatte sich schließlich in Janes Apartment wiedergefunden, wo all die Bücher und Zeitschriften zum Neu-Heidentum herumlagen. Gekauft und gelesen von Tausenden von Leuten, die viel zu schüchtern waren, um nackt um ein Lagerfeuer herumzutanzen.
Und von Leuten, die es taten.
Jane zufolge nahmen Heiden ihre Umgebung stärker wahr, waren stärker mit der Natur verbunden, mit
diesem
Land,
diesen
Hügeln,
diesen
Feldern. Und wenn das Land geschändet und seine alten Schreine von profanen Regierungen entweiht wurden, dann spürten die Heiden den Schmerz beinahe körperlich. Spürten die Gewalt.
Den Speer, der in unser spirituelles Herz gerammt wird
, wie es der Ire Padraig Neal ausgedrückt hatte.
Aber es handelte sich eben nicht um vorurteilsfreie, feengleiche Übermenschen. Heiden und Ökoaktivisten waren einfach auch nur Menschen mit Fehlern, und manche neigten zu Wut, Frustration, irrationalem Hass, Unausgeglichenheit … und schickten Hass-Mails durch die Welt.
E-Mails waren etwas anderes als herkömmliche Briefe. In E-Mails wurde aus der Hüfte geschossen, und bis man feststellte, dass man zu weit gegangen war, hatte man die Mail längst abgeschickt. Allerdings bestand ein großer Unterschied, wenn es darum ging, eine Spontan-Mail abzuschicken oder sich mit einer Machete auf den Weg zu machen.
Trotzdem …
Sie werden – seien Sie versichert – noch in diesem Jahr eine kommunale Ersatzwahl erleben
Merrily fragte sich, was sie jetzt machen sollte. Sich abends mit Jane hinsetzen und hoffen, dass sie ihre Tochter nach einer langen Debatte dazu bringen konnte, die gesamte Mail-Korrespondenz des Coleman’s-Meadow-Erhaltungsvereins auf eventuell gefährliche Extremisten zu durchforsten? Was vermutlich die halbe Nacht dauern würde.
Und dann?
Was, wenn es einen weiteren Mord gab?
Als sie mittags den Anruf bekam, war Jane immer noch wütend.
Es war der letzte Unterrichtstag vor den Ferien, und sie hatten morgens in der Aula eine Schweigeminute für Clement Ayling einlegen müssen, der anscheinend auch Vorsitzender des Bildungsausschusses gewesen war. Und Direktor Morell hatte eine vor Anerkennung strotzende Rede auf Ayling gehalten.
Was für ein total heuchlerischer Mistkerl.
Morell war der schlimmste New-Labour-Vertreter, den man sich vorstellen konnte, und Ayling war sein Leben lang der schlimmste, erzkonservative Tory gewesen. Und davon abgesehen hatte er zu denjenigen gehört, die in Herefordshire einen Haufen Grund- und Hauptschulen schließen wollten.
Gut, sie sollten nicht geschlossen, sondern fusioniert werden. Statt zwei erfolgreicher Hauptschulen sollte es je ein größeres, unpersönliches Schulzentrum geben, wo niemand etwas lernte – abgesehen davon, wie man an Drogen kam. Und dann mussten die Ansprüche runtergeschraubt und die Prüfungsergebnisse manipuliert werden, und die Bullen waren so oft auf dem Gelände, dass sie sich eigentlich einen festen Verhörraum einrichten könnten.
Und warum unterstützte Morell, dessen Partei doch angeblich so viel für die Bildung tun wollte, das stillschweigend? Weil seine Schule auf einem großen Gelände stand und expandieren konnte. Wenn Aylings Pläne durchkämen, würde ein anderer Direktor seinen Job verlieren, und Morell wäre Direktor einer Doppelschule und würde richtig Schotter verdienen. Dieser Speichellecker.
Jane, die sich auf eins der Sofas im Aufenthaltsraum zurückgezogen hatte, konnte es kaum abwarten, aus dieser grässlichen Schule herauszukommen.
«Denkst du an Sex, Jane?»
Das kam von dem verschwitzten Rees Crawford, der gerade sein Billardqueue einkreidete, weil er noch trainieren wollte, um nachmittags die Billardmeisterschaft der Oberstufe zu gewinnen.
«Pass auf», fauchte sie, während ihr Handy in der Tasche anfing zu klingeln, «projizier deine bemitleidenswerten Phantasien nicht auf mich, Crawford. Wer da?» Die letzte Bemerkung galt dem Anrufer.
«Du klingst nicht gerade gut gelaunt, Jane.»
«Coops?»
«Oh,
Coooops
», sagte Crawford mit einem anzüglichen Grinsen, und Jane zeigte ihm den Finger.
«Es ist doch okay, jetzt anzurufen», sagte Neil Cooper, «ihr habt doch Mittagspause, oder?»
«Klar.»
«Nur weil ich gesagt habe, dass ich dich auf dem Laufenden halte. Morgen geht’s los.»
«Die Ausgrabung?» Jane drückte ihr Handy fester ans Ohr. «Sie fangen wirklich mit der Grabung
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