Sündenkreis: Thriller (German Edition)
gefiel ihr nicht.
»Wir können so nicht weitermachen. Es wächst uns über den Kopf. Wir schaffen es nicht, allen Fährten nachzugehen und uns fehlen überdies Mittel und Wege, um an Informationen heranzukommen. Was nützt es uns, dass wir die Inschriften auf der Stirn oder die Texte auf den Rücken übersetzt haben? Der Mörder könnte jeder X-Beliebige gewesen sein. Unsere Theorie mit dem Sektenmitglied ist doch durch nichts bestätigt. Vergiss außerdem nicht, dass du krankgeschrieben bist. Was, wenn dich einer deiner Kollegen beim Recherchieren erwischt?«
»Das ist mir egal. Es ist nicht verboten, sich an der frischen Luft aufzuhalten.« Lara kniff die Augenbrauen zusammen.
»Ich sehe das etwas anders, aber lass uns jetzt nicht darüber streiten. Hin oder her, mein Vorschlag ist, wir übergeben Mark unser Material und bitten ihn, es an die verantwortlichen Kollegen weiterzuleiten. Er kennt doch die Leute. Oder wenn du möchtest, kannst du es auch selbst deinem Bekannten bei der Kripo übergeben.«
»Kriminalobermeister Schädlich? Damit sein Chef erfährt, dass ich schon wieder in Dingen herumschnüffele, die mich seiner Ansicht nach nichts angehen? Nie im Leben!« Lara hörte sich selbst sprechen und fand ihren keifenden Tonfall schaurig. Was war plötzlich in Jo gefahren? Wieso bekam er auf einmal kalte Füße? Gestern war er noch Feuer und Flamme gewesen, und heute wollte er alles abwimmeln. Sie wagte einen Blick zu ihm hinüber. Er saß am Küchentisch, die linke Hand schob, ohne dass er es bemerkte, Papiere hin und her, die rechte umklammerte ein Glas Wasser. Sein Blick glich dem eines traurigen Hundes. Würde er mit sich reden lassen oder stand sein Entschluss, sich abzukoppeln, fest?
»Bitte lass mich dieses Wochenende nicht im Stich. Wenn wir bis Montag nicht weiterkommen, können wir das Material immer noch der Kripo übergeben. Heute arbeitet doch da eh niemand.«
»Sei dir da mal nicht so sicher.« Jo schob die Lippen vor. Er war noch nicht überzeugt.
»Dann hören wir jetzt an dieser Stelle auf und gehen erst einmal Mittag essen. Ich lade dich ein.« Lara beobachtete, wie sich seine Gesichtszüge entspannten. Wahrscheinlich hoffte er, sie beim Essen von seiner Ansicht überzeugen zu können. Und sie hoffte das Gleiche.
»Mir kommt da grad eine Idee.« Jo trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wir könnten heute Nachmittag noch einmal zu diesem Reinmann fahren, auch wenn ich gestern gesagt habe, dass er uns nichts mehr nützt. Vielleicht kann er uns doch in einer Sache helfen. Er hat gesagt, dass sie die Kinder des Himmels schon länger beobachten und vermuten, dass dort Ereignisse stattfinden, die nicht in Ordnung sind.«
»Nicht ›gottgefällig‹ waren seine Worte.«
»Richtig. Ich wüsste gern, was er damit gemeint hat. Holländer wird uns nicht mehr in seine Villa lassen, und die Sektenmitglieder schweigen. Diese ›Aussteiger‹ wollen mir nicht aus dem Kopf. Reinmann hat zwar behauptet, keiner von ihnen wäre bisher gesprächsbereit gewesen, aber man könnte es ja nochmal versuchen, oder? Vielleicht sind diese Leute gegenüber jemandem, der nicht von einer offiziellen Institution kommt, aufgeschlossener? Wenn er uns die Namen gibt …«
»Wahrscheinlich gibt es da auch so etwas wie eine Schweigepflicht.« Lara fand Jos Idee gut, bezweifelte aber, dass sie damit Erfolg haben würden.
»Wir müssten ihn in unsere Nachforschungen und Theorien einweihen, dann rückt er vielleicht mit der Sprache raus. Einen Versuch ist es doch wert oder?«
»Warum nicht. Rufen wir ihn an. Möglicherweise hat er auch den Wessel-Text schon fertig. Und danach fahren wir etwas essen. Ich kriege allmählich Hunger.« Lara nahm ihr Handy aus der Tasche. Es konnte sein, dass Jo sie mit dem erneuten Besuch bei Reinmann nur ablenken wollte. Aber das würde sie schnell herausfinden, und wenn es so war, dann würde er nichts zu lachen haben.
*
Hieronymus Bosch hatte die Szene ganz in Brauntönen gezeichnet. In einer Stube sah man einen dicken Mann auf einem Lehnstuhl sitzen. In der Linken hielt er einen Hühnerfuß, in der rechten Hand einen Krug, nach dem ein ebenso dickes Kind verlangend die Arme ausstreckte. Der Junge hatte ein blutendes Geschwür am Hinterkopf – Zeichen, dass man ihn vernachlässigte. Links von dem fetten Hausherrn stand ein ausgemergelter Mann, der so gierig aus einem Krug trank, dass ihm der Wein über das Gesicht lief. Alle drei trugen verschlissene Schuhe, aus denen vorn
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