Sündhafte Küsse (German Edition)
nach Lady Cathérine kam, mit seinem rabenschwarzen Haar und den stechendblauen Augen, war Marianne das Ebenbild ihres Vaters, die dessen braunes Haar und die dunklen Augen geerbt hatte, nur weiblicher, natürlich. Unter seinen Freunden galt sie als Schönheit, und Jul war sich sicher, dass sie sich vor Heiratsanträgen kaum retten konnte, aber Mutter hatte sich wahrscheinlich noch nicht entschieden, wer denn nun für ihre einzige Tochter infrage kam.
Er selbst, mit seinem blonden Haar und den grünen Augen, ähnelte wohl eher dem Großvater, den er leider nie gekannt hatte, aber dessen Gemälde im Esszimmer hing. Ich wünschte, er wäre nicht so früh gestorben. Er soll ein wahrer Abenteurer gewesen und zur See gefahren sein. Irgendwie kam Jul sich hier fehl am Platz vor – eingesperrt mit diesen zwei Furien. Bei seinem großen Bruder hatte er sich endlich frei gefühlt, aber was sollte er jetzt machen? Zurück konnte er nicht, aber hier wollte er auch nicht länger bleiben.
„Wenn Aidan mir nicht deine Ankunft bestätigt hätte, wäre ich vor Sorge um dich gestorben.“ Theatralisch wedelte Lady Cathérine mit ihrem Fächer und gab dabei kleine Seufzer von sich. Marianne sah ihn weiterhin vorwurfsvoll an.
„Nur gut, dass mein Bruder so gewissenhaft ist“, sagte Jul. Es klang sarkastischer, als er beabsichtigt hatte. „Entschuldigt mich, Mutter, Mary, ich bin erschöpft von der Reise.“ Trotz ihrer Proteste verzog er sich auf sein Zimmer und schlief ein paar Stunden, aber am frühen Nachmittag wälzte er sich unruhig im Bett hin und her, weil er immerzu an Aidan denken musste, der ihn in der Hütte so leidenschaftlich geliebt hatte. Es brachte Julian schier um, solche Gefühle für seinen Bruder zu haben. Und es gab niemanden, mit dem er darüber reden konnte. Ich muss hier raus, sonst werde ich noch verrückt!
Kurze Zeit später lief er ziellos durch Londons Stadtviertel Mayfair. Er wollte einfach seinen Gedanken nachhängen. Seine Freunde träfe er jetzt sicher in einem der Herrenklubs, am ehesten bei White’s in der St James Street, aber ihm stand nicht der Sinn nach Vergnügen. Er hatte in den letzten Monaten schon genug Geld bei lächerlichen Wetten verloren und in den Spielsälen gelassen. Dieses Lotterleben stellte ihn einfach nicht zufrieden. Er wünschte sich ebenfalls eine Aufgabe, so wie Aidan eine hatte, weil er das Vermögen und Shevington Manor verwaltete. Jul kam sich so nutzlos vor. Vielleicht sollte ich wieder auf die Universität gehen, überlegte er. Oder einen Job erlernen ... Nein, das gehört sich ja nicht für Leute von Stand.
Unbewusst steuerte er auf einen weniger noblen Stadtteil zu und sah erst auf, als er Trommelklänge und eine lustige Melodie vernahm, die der Wind durch die Gassen trug. Er folgte den fremden Tönen, bis er auf eine Gruppe musizierender Zigeuner traf, die mitten auf der Straße ein paar Schaulustige unterhielten. Frauen in bunten Röcken, mit Glöckchen an den Füßen, sprangen im Kreis, sangen in einer Sprache, die er nicht verstand und trommelten auf dem Tamborin, während Männer in weiten Hosen und mit nackten Oberkörpern auf den verschiedensten Instrumenten spielten.
Besonders ein junger Mann zog Julians Aufmerksamkeit auf sich: Er hatte dasselbe rabenschwarze Haar wie sein Bruder, nur war er vielleicht erst neunzehn Jahre alt. Er ging auf den Händen, schlug Räder oder vollführte komplizierte Sprünge, bis er vor Jul zu stehen kam. Schweiß glänzte auf seinem gebräunten Oberkörper, und er war leicht außer Atem, als er in gebrochenem Englisch fragte: „Wieso schaut Ihr so traurig, gefällt Euch unsere Vorstellung nicht, edler Herr?“ Der Zigeuner lächelte ihn aufmunternd an und hielt ihm ein Körbchen unter die Nase, in das Jul zwei Geldstücke warf.
„Ihr seid toll, mir ist heute nur nicht nach Lachen zumute“, antwortete Julian ehrlich.
Der junge Mann wich nicht von seiner Seite. Seine dunklen Augen musterten Julian eingehend. „Wie kann ich Euch aufmuntern, Sir?“ Er zwinkerte, worauf es Jul ganz heiß wurde.
„Indem du nicht immer Sir sagst. Ich bin Julian.“ Er wusste nicht, was in ihn gefahren war, aber er streckte dem Unbekannten tatsächlich die Hand hin.
Dieser ergriff sie ohne zu zögern. „Mein Name ist Darius.“ Sie berührten sich einen Moment länger, als es schicklich war, und Julian spürte, wie ein Kribbeln durch seinen Körper fuhr. Sofort zog er die Hand zurück, so, als hätte er sich verbrannt.
Darius
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