Sündhafte Küsse (German Edition)
Darius plauderte ein wenig mit ihr, bevor die beiden jungen Männer den Wagen wieder verließen und in den grellen Sonnenschein traten.
Julian spürte immer noch die eindringlichen Blicke auf sich, als sie durch die Menschen schritten. Er hätte Angst haben müssen unter all den Leuten mit den fremdländischen Gesichtern, aber er fühlte sich plötzlich seltsam frei.
„Weiß deine Großmutter von deiner ... Andersartigkeit?“, flüsterte Jul.
„Möglich, aber sie sagt nur, ich wäre etwas Besonderes. Sie hat mich vieles gelehrt, auch Wahrsagen und Kartenlegen. Ich denke, das hätte sie nicht getan, wenn sie mich nicht wollte.“
„Kannst du mir auch die Zukunft vorhersagen?“ Julian glaubte eigentlich nicht an solchen Humbug, aber jetzt war er doch neugierig, schließlich hatte Darius ein sehr sensibles Gespür für seine Umwelt.
„Klar, komm mit, dann werde ich dir aus der Hand lesen.“
Vielleicht sollte ich mit ihnen ziehen , überlegte Julian ernsthaft, als er in Darius’ Holzplanwagen stieg, der wesentlich einfacher eingerichtet war als der von Großmutter Rafi. Mein versnobtes Leben macht mir keinen Spaß. Und vielleicht könnte ich so Aidan vergessen. Aber Jul brauchte sich nichts vormachen. Er ist mein Bruder. Ich könnte ihn niemals aus meinem Gedächtnis streichen.
Julian saß mit Darius in dessen düsterem Wohnwagen auf einem Kissen am Boden. Der Eingang war mit einem Tuch verhängt, und vor ihnen, auf einem Tischchen, flackerte eine Kerze. Julian hielt ihm seine Hand entgegen, die Darius hin und her drehte und interessiert betrachtete. Darius’ langer Zeigefinger glitt über Julians Daumenballen und entlockte dem Zigeuner ein Murmeln, das Jul nicht verstand. Der junge Mann war ganz in sich vertieft.
„Was siehst du?“, flüsterte Julian.
Ohne zu ihm aufzublicken, sagte Darius: „Deine Lebenslinie ist lang und kräftig. Du hast eine gute Gesundheit.“
„Puh, das erleichtert mich ungemein. Vater ist an Lungenentzündung gestorben.“ Julian hielt das alles für ein albernes Spiel, doch Darius schien ganz bei der Sache zu sein.
„Aber der Abstand zwischen Kopf und Lebenslinie ist groß.“ Der Zigeuner hielt Juls Hand noch näher an die Flamme, wobei er die Stirn runzelte.
„Was bedeutet das?“ Julians Herz klopfte schneller.
Darius sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Du handelst oft vorschnell.“
„Ja, da kannst du recht haben.“ Er grinste erleichtert. „Hast du ja heute selbst erlebt. Ich bin einfach so mit dir gegangen, obwohl ich dich überhaupt nicht kenne.“
„Und deswegen hast du schon einige meiner Fertigkeiten kennengelernt.“ Darius lachte und Julians Wangen wurden heiß. „Los, was siehst du noch? Wie sieht es mit der Liebe aus?“
„Ja, das interessiert alle immer am meisten. Moment, ich schau mal nach.“ Er beugte sich tief über Juls Hand und fuhr eine weitere Spur nach. „Deine Herzlinie ist sehr lang.“
„Also, viel Glück in der Liebe?“, hoffte Julian.
„Nein, die Herzlinie sagt nichts über die Liebe aus. Bei dir steht: Du lässt dich von deinen Gefühlen lenken.“
„Darius, ich glaube dir nicht!“ Jul kicherte und wollte ihm die Hand wegziehen, aber der junge Mann hielt sie eisern fest. „Das hast du dir doch zusammenreimen können.“
Der Zigeuner sah ihn finster an, aber Julian merkte, dass es nur gespielt war „Du bist ungläubig, mein Herr.“
„Kannst du das auch aus meiner Hand lesen?“
„Nein, das weiß ich auch so.“
„Wo steht denn jetzt was über die Liebe?“, drängelte Julian. Er wollte wissen, ob er doch noch Chancen bei Aidan hatte. Also schob er den Gedanken beiseite, dass Aidan sein Bruder war.
Darius zeigte ihm die Vertiefung, die vom Handballen in Richtung Mittelfinger führte. „Das steht auf der Schicksalslinie. Siehst du, sie ist bei dir unterbrochen.“
„Das ist kein gutes Zeichen, oder?“
„Ich weiß es nicht, aber es bedeutet, dass die Liebe dein gesamtes Leben verändern wird.“
„Zum Positiven oder zum Negativen?“
„Das kann ich hier nicht sehen.“
„Das ist aber eine sehr schwammige Aussage“, beschwerte sich Jul. „Von so einem Fachmann wie dir hätte ich mehr erwartet.“
Darius ließ sich nicht herausbringen. „Aber da ist noch etwas, Julian.“
„Was ist? Was siehst du?“ Auch wenn er dem Zigeuner noch immer nicht ganz glaubte, raste nun sein Herz. An Darius’ Gesichtsausdruck erkannte Jul, dass er wohl etwas Gravierendes entdeckt hatte.
Mit ernstem Blick
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