Sündige Gier
Blick war auf den leeren Handtuchhalter gerichtet.
Sie sagte: »Sie haben mich an Paul erinnert, aber diese Erinnerung hat er kaputt gemacht. Ich habe sie weggeworfen.«
Derek trank einen Schluck und ließ den Blick über die Töpfe wandern, die oberhalb des Herdes aufgehängt waren, über die verkorkten Fläschchen mit aromatisierten Ölen und Essigsorten, die Regale voller Kochbücher, die griffbereiten Gerätschaften, die hier eine ganz andere Atmosphäre schufen als in seiner fast sterilen Küche.
»Du kochst.« Das war keine Frage.
»Das habe ich in Frankreich gelernt.«
Ihre Blicke trafen sich. »Hast du auch für Wheeler gekocht?«
»Oft.«
Er nahm noch einen Schluck Whisky. »Möchtest du etwas essen?«
»Nein.«
Die Antwort kam so schnell und so entschieden, dass sie das Thema nicht weiter vertiefte. »Ich will dir etwas zeigen. Es wird eine Weile dauern, aber es kann auch bis morgen warten, wenn du zu müde bist.«
Er sah in sein Glas und ließ den Whisky über die Eiswürfel schwappen. »Ich glaube nicht, dass ich heute Nacht schlafen kann.«
Sie nickte mitfühlend und gab ihm dann ein Zeichen, ihr zu folgen. Sie führte ihn ins Wohnzimmer. »Mach es dir bequem.« Er setzte sich aufs Sofa. Sie trat an den Schrank, in dem ihr Mediencenter untergebracht war.
Während sie alles vorbereitete, fragte Derek: »Was glaubst du, wann Creighton hier war?«
»Meine Putzfrau war bis mittags da, er hatte also den ganzen Nachmittag Zeit. Ich hatte mein Abendkleid gestern früh in die Galerie mitgenommen, weil ich mich dort umziehen und dann direkt zur Versteigerung fahren wollte.«
»Wie ist er an deiner Alarmanlage vorbeigekommen?«
»Einer der Bewegungsmelder ist kaputt und hat mehrmals falschen Alarm ausgelöst. Ich hatte noch keine Zeit, ihn auszutauschen, darum habe ich die Anlage ausgeschaltet, damit ich keine Strafen zahlen muss. Wie ist er an deiner vorbeigekommen?«
»Ich hatte es so eilig, dich in Athens zu treffen, dass ich vergessen habe, sie einzuschalten.«
Während sie sich unterhielten, hatte sie eine DVD aus der Hülle genommen und sie in den Player geschoben.
»Du willst jetzt einen Film anschauen?«
Mit der Fernbedienung ging sie das Menü auf dem Bildschirm durch, um den Film laufen zu lassen, dann setzte sie sich zu ihm aufs Sofa und reichte ihm die DVD-Hülle. »Hitchcock.«
Er las den Titel. »Der Fremde im Zug. Habe ich nie gesehen.«
»Er ist alt. Manche halten ihn für einen Klassiker. Creighton zum Beispiel.«
Derek wandte sich dem Bildschirm zu, und Minuten später verfolgte er gebannt Robert Walkers gespenstisches Porträt eines mordenden Millionärs, so wie es viele Zuschauer seit Jahrzehnten taten. Als der Film etwa eine Stunde gelaufen war, nahm Derek Julie die Fernbedienung aus der Hand und drückte auf Pause. »Creighton und Billy Duke haben ihre Morde getauscht.«
»Creighton und irgendjemand.« Julie blickte in die Großaufnahme des Schauspielergesichtes auf dem Bildschirm. Hinter der zuvorkommenden Fassade und angenehmen Stimme verbargen sich Hirn und Herz eines skrupellosen Killers. »Ich glaube, Creighton hat die Idee aus diesem Film. Einmal ließ er sich während eines Essens bei Doug und Susan endlos über Hitchcocks Brillanz und ganz besonders über diesen Film aus. Er kennt das ganze Drehbuch auswendig, Wort für Wort. Viele Filme Hitchcocks sind bekannter als der hier. Psycho, Die Vögel, Das Fenster zum Hof. Aber dieser hier war eindeutig Creightons Favorit, ich glaube, weil er sich in dem Millionär wiedererkennt. Zumindest ist er genauso ein narzisstischer Egomane.«
»Er meidet die Kameras, weil er das Gefühl hat, dass sie ihm nicht gerecht werden.«
»Vielleicht spielt das eine Rolle. Jedenfalls musste ich mir ständig anhören, dass Creighton unmöglich der maskierte Räuber sein kann, der Paul erschossen hat; irgendwann fiel mir dann ein, dass er von diesem Film erzählt hatte. Also habe ich mir die DVD bestellt und angesehen.« Sie lächelte freudlos. »Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Creighton gerade beim Tennisspielen war, als Paul umgebracht wurde.«
Derek sah auf den Bildschirm. »Die zweite Hauptfigur ist Tennisprofi.«
»Creightons kleiner Scherz für Eingeweihte.«
Derek beugte sich vor und stellte das Glas auf dem Couchtisch ab. Die Eiswürfel waren geschmolzen, und die Flüssigkeit im Glas sah aus wie wässriger Kräutertee. Der Film und seine Bedeutung für ihre Realität hatten ihn so gefesselt, dass er seinen Bourbon
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