Suess und ehrenvoll
sein, dass sie ihrem Mann gelegentlich assistieren durfte, wenn auch ohne Bezahlung.«
Karoline nickte. Das Problem war ihr bestens vertraut, wenn sie an ihr eigenes Studium dachte. Wahrscheinlich würde sie ebenfalls froh sein, wenn sie später mal ihrem Mann »assistieren« dürfte. Deshalb plädierte sie ja auch so dafür, dass Ludwig Rechtsanwalt werden sollte, wenn er denn je aus dem Krieg zurückkam. Ohne ihn hatte ihr eigenes Studium wahrscheinlich auch keinen Sinn. Hatte man je schon von einer Juristin im Staatsdienst gehört? Oder von einer Richterin?
»Der Mann muss ja recht gut sein, wenn er das Kaiser-Wilhelm-Institut leitet«, sagte sie vorsichtig.
»Gut? Ohne ihn und seine Erfindung hätte das Deutsche Reich niemals Krieg führen können. Die Bauern hätten keinen Dünger und die Soldaten längst keine Munition mehr.«
»Wieso?«
»Weil es ohne das Haber-Bosch-Verfahren zur industriellen Gewinnung von Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff schon lange keinen Sprengstoff in Deutschland mehr gäbe. Und Kunstdünger auch nicht. Die englische Flotte lässt ja nicht zu, dass deutsche Schiffe Salpeter aus Südamerika holen. Bist du nie in Ludwigshafen gewesen? Hast du die Badische Anilin-
&
Soda-Fabrik nie gesehen? Das ist doch ein riesiges Werk.«
»Nein«, musste Karoline zugeben. »Aber warum hat sich deine Clara denn umgebracht? Der Kaiser ist Professor Haber und seiner Frau doch sicher sehr dankbar?«
»Oh ja! Das ist er«, sagte Friede bitter. »Der Kaiser ist außerordentlich dankbar. Er hat Professor Haber sogar zum Hauptmann der Reserve ernannt. Aber nicht für den Dünger, ja noch nicht einmal für den Sprengstoff.«
»Wofür denn dann?«
»Für deutsches Giftgas!« Friede fing wieder zu weinen an, und während sie weitererzählte, liefen ihr die Tränen in einem stetigen, stillen Strom über das blasse Gesicht. »Er war gerade aus Flandern zurückgekommen. Er hatte persönlich überwacht, wie das XV. Korps bei Ypern hundertfünfzig Tonnen Chlorgas aus Flaschen entweichen ließ und damit über tausend Franzosen erstickte. Er erhielt die Ernennung zum Hauptmann, und am Abend wurde in seiner Villa in Dahlem gefeiert. Meine Eltern und ich waren auch eingeladen. Gegen Mitternacht sind wir gegangen. Kurz darauf hat Clara die Dienstwaffe ihres Mannes aus seinem Zimmer geholt, ist in den Garten gegangen und hat sich erschossen.«
»Aber warum denn?«, fragte Karoline unsicher.
Friede sah sie an, als hätte sie eine Verrückte vor sich. »S-i-e k-o-n-n-t-e e-s n-i-c-h-t e-r-t-r-a-g-e-n«, buchstabierte sie überlaut.
Karoline saß wie erstarrt. So hatte sie Friede noch nie erlebt. Nach einer langen Pause fragte sie schließlich leise: »Und was hat dieser Professor Haber gemacht?«
Friede stieß ein höhnisches Lachen aus. »Er hat seine ›Pflicht‹ erfüllt. Was denn sonst? Noch im Morgengrauen ist er an die Ostfront gefahren, um den nächsten Gaseinsatz zu beobachten.«
16
V ERDUN
— Februar 1916 —
Bei allem, was später darüber gesagt und geschrieben worden ist, mag es vielleicht überraschen, aber als Ludwig im Mai 1915 zurück an die Front geschickt wurde, war die kleine Stadt Verdun ein ziemlich verschlafenes Nest. Dass hier vor über tausend Jahren das Reich Karls des Großen von seinen Enkeln geteilt und damit die »Erbfeindschaft« zwischen Frankreich und Deutschland gestiftet worden war, wusste von den ungefähr zwanzigtausend Einwohnern kaum jemand, außer dem Bischof wahrscheinlich.
Gewiss, die Stadt an der Maas war der nördlichste Punkt des französischen Festungsgürtels, der von der Schweiz bis zu den Ardennen reichte, aber bei ihrem vergeblichen Sturmlauf nach Paris im Sommer 1914 hatten die deutschen Truppen die kleine Stadt einfach links liegen lassen. Militärisch war der Ort wertlos. Er lag tief unten im Tal und musste durch eine Reihe von kleinen Blockhäusern, Bunkern und Forts auf den umliegenden, dicht bewaldeten Höhenzügen gedeckt werden. Auffällig war Verdun allenfalls dadurch, dass es 1915 auf allen Landkarten wie ein alter Schuh in die deutsche Front hineinragte, genauer gesagt: dass es Verdun sich im Winkel zwischen dem starken rechten und dem schwachen linken Flügel der deutschen Front gewissermaßen gemütlich gemacht hatte.
Aus diesem Grund war die kleine Stadt wohl auch dem preußischen General Erich von Falkenhayn aufgefallen, der im September 1914 zum Chef des Großen Generalstabs ernannt worden war, nachdem sein Vorgänger, General
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