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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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Helmuth Johannes Ludwig von Moltke, die fatale Mechanik des sogenanntenSchlieffen-Plans (»Macht mir den rechten Flügel stark!«), auf dem das ganze politisch-strategische Unglück des Deutschen Reiches basierte, erst in Gang gesetzt und dann so halbherzig durchgeführt hatte, dass die deutschen Truppen an der Marne gestoppt worden waren, ohne Paris auch nur aus der Ferne zu sehen.
    Nachdem die Franzosen und Engländer einerseits und die Deutschen andererseits sich in Flandern so lange vergeblich zu »umfassen« versucht hatten, bis sie ans Meer stießen, musste sich Falkenhayn etwas einfallen lassen, um zu zeigen, dass er das Vertrauen des Kaisers verdiente. Es musste ein Sieg her, und so verfiel Falkenhayn auf die strategisch denkbar aussichtsloseste Idee: Er wollte gegen die zahlenmäßige Übermacht der Entente eine Materialschlacht, einen Abnützungskrieg führen. Irgendwann im Jahre 1915 muss er auf die Landkarte getippt und gesagt haben: » Hier werden wir die Franzosen ausbluten lassen!«
    Dabei landete sein Finger genau auf der Stelle, an der Ludwigs Einheit einen relativ beschaulichen Sommer und Herbst verbracht hatte.
    Der deutsche Angriff begann am 21. Februar 1916, morgens um 8 Uhr 12. Die zweifelhafte Ehre, den ersten Schuss abzugeben, fiel den Fußartilleristen des Bataillons 5000 zu, die ihr ursprünglich für die Marine gedachtes dreißig Meter langes Eisenbahngeschütz im Wald von Warphémont auf einer Betonplattform mit einem riesigen Drehkranz aufgebaut hatten. Die 38-cm-Granate war weit über zwei Meter lang und wog 800 Kilogramm. Sie verließ das Rohr des »Langen Max« mit einer Mündungsgeschwindigkeit von 820 Metern in der Sekunde. Nach etwa einer Minute und der Überwindung einer ballistischen Kurve von mehr als vierzig Kilometern schlug sie in den dichten Wald rund um das Dörfchen Fleury ein und zerstörte einige Hundert Bäume.
    Als die Schlacht zehn Monate später am 20. Dezember zu Ende ging (Falkenhayn war da längst abgelöst und durch einen anderen Charakterkopf mit Schnauzbart und Bürstenhaarschnitt ersetzt worden), stand im ganzen Wald von Verdun kein einziger Baum mehr. Dafür waren auf französischer Seite 167

000 und auf deutscher Seite 150

000 Soldaten und Offiziere gefallen. Dazu kamen 210

000 verwundete Franzosen und 187

000 verwundete Deutsche. Falkenhayns »Blutpumpe« hatte in beide Richtungen funktioniert, ohne sich auch nur einen Meter weit zu bewegen. Es war der Höhpunkt der symmetrischen Kriegsführung.

17
    V ERDUN
— März 1916 —
    An der Somme und in Flandern hatte Louis sich gut geschlagen, und seinen ersten großen Urlaub im Spätherbst 1915 genoss er sehr. Mit Schaudern hatte er von den Kämpfen um Ypern gehört, bei dem die Deutschen Gas eingesetzt hatten, das schwerer als Luft war und wie ein zäher Nebel durch die Schützengräben kroch und jedem die Lunge verätzte, der es ungeschützt einatmete. Er selbst war kaum fünfzig Kilometer von Ypern entfernt gewesen. Nach Weihnachten kehrte er wieder nach Flandern zurück, wo die Kämpfe allmählich abflauten.
    Dafür entstand eine andere Unruhe. »Das Regiment wird verlegt«, hieß es jetzt immer öfter, und Ende März 1916 wurde es ernst. Louis wurde zu de Boissieu gerufen, der inzwischen zum Oberst und Regimentskommandeur befördert worden war. Louis salutierte und blieb in strammer Haltung am Eingang des Bauernhauses stehen, wo der Gefechtsstand des Regiments lag. Er wusste nicht, warum er herbestellt worden war. Sollte er diese persönliche Begegnung mit dem Kommandeur als besondere Ehre betrachten? Oder erwartete ihn eine so schlimme Nachricht, dass der Kommandeur sie ihm von Angesicht zu Angesicht mitteilen wollte?
    »Treten Sie näher, Naquet«, wandte sich der Oberst an ihn. »Sie gehören zu einer kleinen Anzahl von Soldaten, die ich von Beginn ihres Armeediensts an unter meinem Kommando hatte und die den Krieg bisher heil und gesund überstanden haben. Sie sind mir noch aus Ihrer Rekrutenzeit in Erinnerung. Sie haben gute Figur gemacht. Man konnte gar nicht umhin, auf Sie aufmerksam zu werden. Ich habe Ihre Akte geprüft. Sie habensich während Ihres gesamten Dienstes an der Front als ausgezeichneter Soldat erwiesen. Davon zeugt auch der Orden an Ihrer Brust. Außerdem haben Sie Abitur, was für uns von nicht unbeträchtlicher Bedeutung ist. Offenbar haben Sie die Prüfung sogar mit Auszeichnung bestanden. Dafür gebührt Ihnen aller Respekt. Wie Sie wissen, lieber Naquet, haben wir

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