Süße Herzensbrecherin
unbehaglich, als sie in der Ferne ein Donnergrollen vernahm. Wie aus dem Nichts fegte plötzlich der Sturm über die Felder und erzeugte Wellen auf dem See, dessen Oberfläche eben noch spiegelglatt gewesen war. Fröstelnd entschied Cassandra, unverzüglich umzukehren, und machte sich auf den Weg in Richtung Herrenhaus. Auf einmal setzte heftiger Regen ein, und binnen weniger Sekunden war sie bis auf die Haut durchnässt. Peitschende Windböen machten ihr das Vorankommen schwer, und sie blieb stehen und sah sich nach einem Unterstand um. Ihr Blick fiel auf eine mächtige Ulme. Ihre Dummheit verwünschend, eilte sie zu dem Baum, um Schutz zu suchen vor den Sturzbächen, die auf sie niederprasselten.
William konnte kaum glauben, was Pearson ihm zu berichten hatte – dass Cassandra ihn im Salon erwartete. Umso größer war seine Enttäuschung, als er sie dort nicht vorfand. Ihm fiel auf, dass eine der Terrassentüren offen stand, und er trat nach draußen und sah sich um. Cassandra war nirgendwo zu entdecken. Sein Blick wanderte zum See, und er murmelte eine Verwünschung. Bestimmt war sie dorthin gegangen und würde nun von dem Unwetter, das sich am Himmel zusammenbraute, überrascht. Eilig ging William zurück in den Salon und zog an der Klingelschnur, um sich einen Regenmantel bringen zu lassen.
Wenige Augenblicke später eilte er mit großen Schritten in Richtung See. Inzwischen donnerte es in kurzen Abständen. Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet, und der Regen prasselte so stark hernieder, dass William kaum die Hand vor Augen sah. Er rief nach Cassandra, doch der Wind riss ihm ihren Namen förmlich von den Lippen und trug ihn ungehört davon.
Schließlich entdeckte er sie – zusammengekauert unter einer riesigen Ulme. Als sie ihn herbeieilen sah, richtete sie sich erleichtert auf. William ergriff ihre Hand und zog sie mit sich. „Komm, wir müssen fort von hier.“
Cassandra hatte ob ihrer mit Wasser vollgesogenen Röcke Mühe, ihm zu folgen. Das Gewitter war nun direkt über ihnen. Blitze zuckten über den Himmel, denen krachende Donnerschläge folgten, und der sintflutartige Regen peitschte ihnen ins Gesicht. Plötzlich tauchte der Umriss eines niedrigen Gebäudes vor ihnen auf, und Cassandra erkannte das kleine Sommerhaus.
William stieß die Tür auf und schob sie in einen Raum mit drei französischen Fenstern, deren Vorhänge halb zugezogen waren. „Was ist in dich gefahren, dass du dich trotz des Gewitters so weit vom Haus entfernst?“, wollte er aufgebracht wissen. „Sieh dich an, du siehst aus wie ein ersäuftes Kaninchen.“
Cassandra zitterte vor Kälte und blickte jammervoll zu ihm auf. „Du … siehst … auch nicht viel besser aus“, versetzte sie mit klappernden Zähnen. Williams zorniger Tadel ging ihr so nahe, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
Als er sah, dass sie weinte, löste Williams Ärger sich in Luft auf. „Nanu“, murmelte er zärtlich. „Tränen? Hat die Eiskönigin etwa doch ein Herz?“
Cassandra bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Wirke ich so auf dich? Wie eine kaltherzige Frau? Denkst du wahrhaftig so schlecht über mich? Es … es mag dich überraschen zu hören, dass ich Gefühle habe wie jeder andere Mensch.“
„Ich weiß“, sagte er weich.
Sie bot einen erbärmlichen Anblick. Durchnässt bis auf die Haut und mit Haaren, aus denen Rinnsale liefen, stand sie hilflos vor ihm. Ihr dünnes zartgelbes Musselinkleid klebte ihr am Körper und überließ so gut wie nichts mehr der Fantasie. Die üppigen Rundungen ihrer Brüste zeichneten sich unter dem nassen und beinahe durchsichtigen Stoff ebenso ab wie ihre schmale Taille und die langen, schlanken Beine. Williams Blick wanderte zu ihrem Mund und blieb an ihren leicht geöffneten Lippen hängen.
Das Verlangen traf ihn mit solcher Heftigkeit, dass er einen Moment lang nicht wagte, sich zu rühren. „Dir ist kalt“, sagte er schließlich rau. „Lass mich dich wärmen.“ Er zog seinen Mantel aus und legte ihn ihr um die Schultern. „Hier sind wir sicher, bis das Unwetter vorüber ist“, setzte er hinzu und nahm sie in die Arme, um sie zu wärmen. Zu seiner Überraschung wehrte sie sich nicht. „Wenn ich wüsste, dass der Sturm anhält, würde ich ein Feuer im Kamin anzünden und dich mit dem größten Vergnügen ausziehen.“
Sie hob den Kopf und sah zu ihm auf. „Zu welchem Zweck?“
Er erwiderte ihren Blick. „Damit deine Sachen trocknen können. Weshalb sonst?“
Der Regen
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