Sueße kleine graue Maus
Wände?«
»Keines von beiden.« Rana trank einen Schluck Kaffee und machte eine bedeutungsvolle Pause. »Ich bemale Kleidungsstücke.«
»Kleidungsstücke?« fragte er mit verwundertem Gesichtsausdruck.
»Ja«, gab sie zurück und erwiderte seinen Blick durch die blaugetönten Gläser ihrer Brille.
»Sie ist ein Genie«, warf Ruby mit gekünstelter Fröhlichkeit ein. Sie hatte so sehr gehofft, daß ihr Neffe Miss Ramsey aus der Reserve locken würde, aber schon während dieser ersten gemeinsamen Mahlzeit hatten sich ihre Hoffnungen zerschlagen.
Wenn überhaupt etwas passiert war, dann nur, daß sich Miss Ramsey noch mehr als sonst verschlossen hatte. Sie schien sich hinter ihrer Brille zu verschanzen, in ihrem übergroßen, häßlichen Kleid zusammenzuschrumpfen und sich noch mehr als sonst hinter einer Wand von Geheimnissen zu verkriechen.
»Du solltest ein paar von ihren Kreationen sehen«, fuhr Ruby fort. »Sie arbeitet allerdings viel zuviel. Ich will sie dauernd dazu überreden, mehr auszugehen und sich mit Leuten ihres Alters zu treffen.«
Trent , hatte seinen Blick nicht von Miss Ramsey abgewandt. »Arbeiten Sie hier?«
»Ja. Ich habe mein Wohnzimmer in ein Atelier umfunktioniert. Das Licht ist ausgezeichnet.«
»Ich glaube, ich verstehe das immer noch nicht.« Er streckte seine langen Beine weit von sich. Sein Knie berührte Ranas unter dem Tisch, und sie zog schnell ihre Beine zurück. »Wie malen Sie auf Kleidung? Und was sind das für Kleidungsstücke? Welche Farben benutzen Sie?«
Sie lächelte. Trotz allem freute sie sich über sein, Interesse. »Ich kaufe Sonderangebote unterschiedlichster Art in Kaufhäusern und bemale sie dann mit Originalentwürfen.«
Trent sah sie ungläubig an. »Und so was läßt sich verkaufen?« fragte er.
»Ich kann davon meine Miete bezahlen, Mr. Gamblin«, erwiderte sie spitz. Abrupt schob sie den Stuhl zurück und stand auf. »Es war wie immer ein ausgezeichnetes Essen, Ruby. Gute Nacht.«
»Sie gehen doch nicht so früh schon auf Ihr Zimmer?« fragte die Wirtin irritiert. Miss Ramseys plötzlichen Stimmungswechsel konnte sie nicht verstehen. »Ich dachte, wir trinken noch alle zusammen Tee im Salon.«
»Entschuldigen Sie mich bitte für heute Abend. Ich bin müde, Mr. Gamblin.« Rana nickte ihm kühl zu, dann schritt sie hochaufgerichtet hinaus.
»Verflixt«, brummte Trent. »Was ist denn in die gefahren? Was zum Teufel ...«
»Trent, sei nicht so grob«, unterbrach ihn Ruby. »Warte! Was machst du? Wohin ...?«
Er hörte nicht auf die aufgeregten Worte seiner Tante, sondern stand auf, warf die Serviette auf den Tisch und verließ den Raum ebenso eilig wie kurz zuvor Miss Ramsey. Seine langen Beine waren schneller als ihre. Gerade als sie die Treppe erreicht hatte, holte er sie ein.
»Miss Ramsey!« Seine Stimme klang laut und streng. Rana hielt inne, den Fuß schon auf der zweiten Stufe, und drehte sich um.
Bevor sie es verhindern konnte, hatte Trent ihre rechte Hand fest in seine genommen. »Sie haben mir keine Gelegenheit gegeben, Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich über Ihre reizende Gesellschaft freue.« Obwohl er sich ärgerte, klang seine Stimme samtweich. Keine Frau ließ Trent Gamblin einfach sitzen. »Ich bin entzückt, Miss Ramsey.« Er hob ihre Hand an die Lippen und drückte einen Kuß darauf.
Rana hielt den Atem an. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie entriß Trent die Hand, sagte frostig gute Nacht und hastete die Treppe hinauf.
Bei seiner Rückkehr ins Eßzimmer lächelte Trent immer noch.
»Ich mag diesen Ausdruck von Schadenfreude nicht auf deinem Gesicht, Trent«, bemerkte Ruby kühl und sah ihren Neffen vorwurfsvoll an.
Er kehrte auf seinen Platz zurück und schenkte sich noch eine Tasse Kaffee aus der silbernen Kanne ein. »Miss Ramsey verhält sich vielleicht wie eine alte Jungfer, aber sie ist immer noch ein weibliches Wesen.«
»Ich hoffe, du erlaubst dir keine Ungehörigkeit und behandelst sie mit dem nötigen Respekt. Sie ist ein liebes Mädchen, aber sehr bedacht darauf, ihre Privatsphäre zu schützen. In all diesen Monaten hat sie nichts von sich persönlich erzählt. Ich vermute, daß sie eine traurige Geschichte hinter sich hat. Bitte provoziere sie nicht.«
»Ich denke nicht daran.« Trent lächelte, wirkte jedoch alles andere als aufrichtig.
Es war nicht Rubys Art, die Ernsthaftigkeit ihres vergötterten Neffen zu hinterfragen. So wechselte sie einfach das Thema und sagte: »Gut. So, jetzt sei ein Schatz und
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