Summer and the City - Carries Leben vor Sex and the City: Band 2 (German Edition)
mit dem Ellbogen anstößt: »Lassen Sie sich von dem mürrischen alten Mann nicht verunsichern«, sagt er mit einer kultivierten, tiefen Stimme, der anzuhören ist, dass er aus den exklusivsten Kreisen New Englands stammt. »Der jahrelange Wodkakonsum hat ihn einen Großteil seiner Gehirnzellen gekostet. Mit anderen Worten, Kenton ist ein hofnungsloser Trinker.«
Ich kichere, als wüsste ich genau, wovon er redet. »Sind wir das nicht alle?«
»Tja, auch wieder wahr.«
»Bernardo , bitte«, fleht Kenton. »Du hast den kürzesten Weg zur Bar. Außerdem kannst du mir nicht zumuten, dass ich mich unter den schwitzenden, gemeinen Pöbel mische …«
»Auf die Guillotine mit ihm!«, ruft der Mann neben mir.
»Was trägst du eigentlich unter diesem Umhang?«, fragt Bernard.
»Endlich!«, kreischt Kenton entzückt. »Seit zehn Jahren warte ich darauf, dass du mir diese Frage stellst.«
»Ich kann Ihnen gern etwas zu trinken holen«, sage ich und stehe auf.
»Ah, so ist es recht.« Kenton James klatscht begeistert in die Hände. »Habt ihr alle mitbekommen, was das Mädchen gesagt hat? Der Nachwuchs hat sich erboten, sich nützlich zu machen. Du darfst ruhig öfter Kinder auf Partys mitbringen, Bernie, wenn sie so wohlerzogen sind.«
Widerstrebend reiße ich mich von der Gruppe los, obwohl ich viel lieber bleiben und dem Geplänkel weiter zuhören würde. Ich will nicht weg von Bernard oder von Kenton James – ich erschauere ehrfürchtig –, dem berühmtesten lebenden Schriftsteller Amerikas. Als ich mich gerade zur Bar vorkämpfe, spüre ich, wie sich eine Hand um meinen Oberarm schließt. Samantha. Ihre Augen funkeln wie der Brillant an ihrem Finger und auf ihrer Oberlippe glänzen feine Schweißperlen. »Alles in Ordnung, Carrie? Du warst plötzlich verschwunden. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Ich habe gerade Kenton James kennengelernt«, erzähle ich aufgeregt. »Er will, dass ich ihm einen Drink besorge.«
»Geh bloß nicht weg, ohne mir vorher Bescheid zu geben, okay?«
»Keine Sorge. Ich will nie mehr von hier weg.«
»Dann ist ja gut.« Sie lächelt und wendet sich wieder den Leuten zu, mit denen sie sich unterhalten hat.
Die Stimmung ist mittlerweile auf dem Siedepunkt angelangt. Disco-Klänge dröhnen aus den Boxen, Körper winden sich auf einer improvisierten Tanzfläche, ein Pärchen wälzt sich selbstvergessen knutschend auf einer Couch, eine Frau krabbelt mit einem Ledersattel auf dem Rücken auf allen vieren an der Bar vorbei, wo eine unglaublich fette, in eine Lacklederkorsage gezwängte Frau gerade zwei der Barkeeper mit Champagner bespritzt. Ich ziehe eine Wodkaflasche aus einem Eiskübel auf der Theke und tänzle durch die Menge zur Terrasse zurück.
Als wäre ich ständig auf solchen Partys. Als würde ich dazugehören.
Bei meiner Rückkehr sitzt eine junge Frau im Chanelkostüm an meinem Platz, der Mann im Seersucker-Jackett ist aufgesprungen und stellt gerade pantomimisch den Angrifeines Elefantenbullen dar, und Kenton James hat sich seinen Hut bis über die Ohren heruntergezogen. Als er mich entdeckt, lebt er sichtlich auf. »Platz da! Hier kommt der Nachschub«, kreischt er und rückt seinen Stuhl zur Seite, damit ich mich zu ihm durchwinden kann. »Seht euch das Mädchen gut an, Leute. Ich prophezeie euch: Eines Tages wird sie über diese Stadt regieren!« Er legt mir einen Arm um die Taille.
»Kenton!«, ruft Bernard warnend. »Lass bloß die Finger von meiner Freundin!«
»Ich bin die Freundin von niemandem«, kichere ich.
»Noch nicht.« Kenton schiebt seine Sonnenbrille ein Stückchen
hinunter und zwinkert mir mit glasigem Blick zu. »Aber bald.« Er legt seine kleine, weiche Hand auf meine und tätschelt sie. »Du wirst schon sehen.«
2
Hilfe!
Ich ersticke, ertrinke. Ich bin lebendig begraben. Bin ich … tot?
Wild um mich schlagend setze ich mich auf und starre benommen auf den zerknüllten Haufen schwarzer Seide in meinem Schoß.
Mein Kleid. Ich muss es mir im Schlaf ausgezogen und mich mit dem Kopf darin verheddert haben. Oder bin ich von jemand anderem ausgezogen worden? Im Dämmerlicht sehe ich mich in Samanthas winzigem Wohnzimmer um. Die durch die Jalousien fallende Morgensonne wirft gelbe Lichtstreifen auf gerahmte Fotos auf einem Beistelltischchen, einen Stapel Zeitschriften auf dem Boden und mehrere halb heruntergebrannte Kerzen, die auf dem Fensterbrett stehen.
Mit hämmernden Kopfschmerzen kehrt verschwommen die Erinnerung an eine wilde Taxifahrt
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