Summer and the City - Carries Leben vor Sex and the City: Band 2 (German Edition)
Gesichtsausdruck wechselt ständig zwischen nachdenklichem Ernst und ausgelassener Heiterkeit hin und her, als würde
er zwei Persönlichkeiten in sich tragen, die sich nicht einigen könnten, welche nun die Oberhand hat.
Ich begreife zwar nicht, warum dieser gut aussehende Mann ausgerechnet mir so viel Aufmerksamkeit schenkt, bin aber wie verzaubert. Immer wieder kommen Leute auf ihn zu und beglückwünschen ihn zu irgendeinem Theaterstück, während durch den Raum schwirrende Gesprächsfetzen meinen Kopf umwehen wie die flauschigen Samen einer Pusteblume.
»Du gibst wohl niemals auf, was? …«
»Crispin kennt ihn und war völlig entsetzt …«
»… und da habe ich gesagt: ›Warum versuchst du die syntaktische Struktur nicht in einem Diagramm aufzulösen …«
»Grau-en-haft. Selbst ihr Brillantschmuck wirkte irgendwie glanzlos …«
Bernard zwinkert mir zu. Und auf einmal erinnere ich mich, dass ich sein Foto kürzlich in einem Artikel im Time Magazine oder in der Newsweek gesehen habe. Ist er etwa Bernard Singer? Der Dramatiker?
Niemals , denke ich, aber dann überfällt mich Panik, weil ich instinktiv spüre, dass er es doch ist.
Plötzlich fühle ich mich wie Alice im Wunderland. Ich bin zwar nicht in einen Kaninchenbau gefallen, aber wie kann es sein, dass ich gerade mal zwei Stunden nach meiner Ankunft schon auf einer Party mit Manhattans berühmtesten Künstlern gelandet bin?
»Bitte entschuldige, ich habe vorhin nicht richtig aufgepasst. Verrätst du mir noch mal deinen Namen?«, sagt er.
»Carrie Bradshaw.« Der Name des Stücks, für das er letztes Jahr den Pulitzerpreis bekommen hat, fällt mir ein: Wasserscheide.
»Vielleicht sollte ich dich doch lieber schnell wieder zu Samantha zurückbringen, bevor ich in Versuchung gerate, dich selbst mit nach Hause zu nehmen«, sagt er mit seiner samtigen Stimme.
»Mit zu dir? Auf keinen Fall«, entfährt es mir. Das Blut rauscht mir in den Ohren und beinahe wäre mir das Champagnerglas, das er mir in die Hand gedrückt hat, aus den verschwitzten Fingern geglitten.
»Wir könnten natürlich auch zu dir gehen. Wo wohnst du?«
»Das weiß ich nicht.«
Er lacht schallend. »Bist du etwa ein Waisenmädchen wie die kleine Annie aus dem Musical?«
»Wenn, dann wäre ich lieber Candide.« Wir werden von einer Horde tanzender Gäste an die Wand in der Nähe der Terrassentür geschoben. Bernard beugt sich zu mir herunter und sieht mir ernst in die Augen.
»Wo kommst du her, Carrie?«
Ich denke an Samanthas Ratschlag. »Spielt das denn eine Rolle? Jetzt bin ich ja hier.«
»Sieh an, sieh an. Du bist nicht nur süß, sondern auch schlagfertig. Das gefällt mir.« Er lächelt amüsiert
Auf einmal bin ich dem Dieb, der mich bestohlen hat, beinahe dankbar. Er hat mir nicht nur meine Tasche und mein Geld weggenommen, sondern auch meine Identität. Und das bedeutet, dass ich sein kann, wer ich will … zumindest ein paar Stunden lang.
Bernard greift nach meiner Hand und führt mich in den Garten hinaus, wo eine größere Gruppe von Leuten um einen Gartentisch mit Marmorplatte herumsitzt. Alle reden durcheinander und gestikulieren wild, als wäre die erhitzte Diskussion, die
sie führen, der Treibstof, der sie am Leben hält. Bernard überlässt mir galant den einzigen noch freien Stuhl zwischen einer zierlichen Frau mit Bürstenhaarschnitt und einem älteren Herrn in einem Seersucker-Jackett und stellt sich hinter mich.
»Bernard!« Die Frau dreht sich strahlend zu ihm um. »Wir haben schon Karten für dein neues Stück im September.«
Bernards Antwort geht in einem lauten Freudenschrei unter, den ein uns gegenübersitzender greisenhaft aussehender Mann ausstößt. Er trägt einen weiten schwarzen Mantel, der mich an eine Mönchskutte erinnert, einen tief in die Stirn gezogenen Filzhut und eine braun getönte Sonnenbrille. Die Haut seines Gesichts ist von feinen Runzeln durchzogen, bei deren Anblick ich an zerknitterte Seide denken muss.
»Bernard!«, kreischt er. »Bernardo, Darling! Liebe meines Lebens! Sei bitte so nett und besorg mir einen Drink, ja?« Plötzlich zeigt er mit zitterndem Finger auf mich. »Bernard! Du hast ein Kind mitgebracht!«
Seine Stimme ist so schrill, das sie tatsächlich an einen kläffenden Pudel erinnert. Ich spüre, wie sich jede Faser meines Körpers zusammenzieht.
Kenton James.
Meine Kehle ist plötzlich wie ausgetrocknet. Ich greife nach meinem Champagnerglas und leere es in einem Zug, als mich mein Sitznachbar sanft
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