Sumpffieber (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
den ganzen Gefängnishof gefolgt ist. So gut ist das Schwein«, sagte sie.
Kopf und Gesicht des Mannes erinnerten an einen häßlichen marxistischen Intellektuellen, das gelbliche Haar war kurz geschoren, Stirn und Schädeldecke waren überproportional groß, und er hatte eine konturlose Backenpartie, die übergangslos in einen Mund mündete, der so klein war, daß er schon beinahe obszön wirkte. Er trug eine Nickelbrille auf seiner Hakennase und ein zerfetztes, löchriges Unterhemd mit tiefen Armausschnitten über einem muskulös aufgeblähten Oberkörper.
Die Aufnahmen waren von einem oberen Stockwerk oder von einem Wachturm aus mit einem Teleobjektiv geschossen worden. Sie zeigten, wie er sich durch die grüppchenweise auf dem Hof zusammenstehenden Gefangenen schlängelte, sich Gesichter in seine Richtung wandten, so wie Köderfische das Licht reflektieren, wenn ein Barrakuda in ihrer unmittelbaren Umgebung auftaucht. Ein fetter Mann stand gegen eine Mauer gelehnt, eine Hand an seinen Hoden, während er den im Halbkreis Herumstehenden eine Geschichte erzählte. Seine Lippen waren von einem Wort verzerrt, das sie formten, blutrot von einem Lutscher, den er gelutscht hatte. Der Mann namens Boxleiter ging an einem Insassen vorbei, der einen mit Isolierband umwickelten Silberstreifen hinter dem Rücken hielt. Nachdem Boxleiter ihn passiert hatte, hatte der Mann die Hände in die Taschen gesteckt.
Das vor-vorletzte Foto zeigte die Häftlinge, die sich an der Mauer zusammengerottet hatten wie Männer aus grauer Vorzeit, die sich am Rand einer Grube versammelten, um dem Todeskampf eines gefangenen Mammuts beizuwohnen.
Dann war der Hof plötzlich wie leergefegt. Übriggeblieben war nur der Fettsack mit einer klaffenden Schnittwunde quer über der Luftröhre, aus der Schleim und Blut blubberten, das mit Isolierband umwickelte Schlächterwerkzeug in der roten Suppe auf seiner Brust versunken.
»Boxleiter ist ein Kumpan von Cisco Flynn. Sie waren zusammen im Waisenheim in Denver. Kann sein, daß Sie bald das
Vergnügen haben. Er ist vor drei Tagen aus dem Knast entlassen worden«, sagte sie.
»Miss Glazier, ich würde gern …«
»Spezial Agent Glazier, wenn ich bitten darf.«
»Sehr wohl. Ich plaudere ja gern mit Ihnen, aber … Warum kümmern wir uns nicht jeder um seinen eigenen Mist?«
»Sie sind vielleicht ein Komiker!« Sie stand auf und starrte auf mich herab. »Jetzt hören Sie mir mal gut zu. Hongkong gehört in Kürze zum Mutterland China. Und es gibt gewisse Leute, die wir gern aus dem Verkehr ziehen würden, bevor der Weg dorthin über Peking führt. Geht das in Ihren Dickschädel?«
»Nicht wirklich. Sie wissen doch, wie das hier bei uns in der Provinz so läuft … man schlägt Moskitos tot, kümmert sich um Diebstähle von Schweinemist … und so weiter.«
Sie lachte in sich hinein und ließ ihre Visitenkarte auf meinen Schreibtisch flattern. Dann verließ sie mein Büro, ohne die Tür hinter sich zuzumachen, so als wolle sie jede unnötige Berührung in dieser Umgebung vermeiden.
Gegen Mittag fuhr ich die unbefestigte Straße am Bayou entlang zu meinem Bootsverleih und Köderladen. Durch die Eichen entlang der Böschung konnte ich die breite Veranda und das rotgestreifte Blechdach meines Hauses oben am Hang sehen. Am Morgen hatte es erneut geregnet, die Sumpfzypressenbretter an den Hauswänden hatten sich teebraun verfärbt, und der Wind blies einen feinen Tropfennebel aus den Hängekörben mit Blumengewächs. Meine Adoptivtochter Alafair, die ich als kleines Mädchen aus einem über dem Meer abgestürzten Flugzeugwrack gerettet hatte, war auf der anderen Seite des Bayou in ihrem Flachboot beim Fliegenfischen.
Ich ging auf den Anlegesteg hinaus und lehnte mich gegen die Reling. Der salzige Geruch von Humus, Fischschwärmen und Brackwasser wehte draußen von den Sümpfen zu mir herüber. Auf Alafairs Haut lag der Laubschatten einer Weide. Ihr Haar hatte sie mit einem blauen Tuch zurückgebunden. Es war so schwarz, daß es blinkte und blitzte, sobald sie es bürstete. Sie war in einem einfachen Dorf in El Salvador geboren, und ihre Familie war den Todesschwadronen zum Opfer gefallen, weil sie eine Kiste Pepsi-Cola an die Rebellen verkauft hatten. Jetzt war sie knapp sechzehn, ihr Spanisch und die frühe Kindheit waren fast vergessen. Nur gelegentlich schrie sie nachts im Schlaf und mußte aus Träumen wachgerüttelt werden, die vom Klang marschierender Soldatenstiefel, von Bauern, denen man die
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