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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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seines Lebens gewesen. Die kranke Mutter hatte für seine Streiche nur ein blasses Lächeln, und Borda ließ sich alles mit der Sanftmut des untergeordneten Wesens gefallen, das den Starken bewundert. Die sich zwischen den Hütten tummelnden Kinder erkannten ihn als ihren Chef an, dem sie allesamt längs des Kanals folgten, um empört schnatternde Enten mit Steinen in die Flucht zu treiben.
    Paloma sah klar: was sein Enkel haßte, mit einem instinktiven Widerwillen, der seine Energie lähmte, war die Arbeit. Vergeblich sprach ihm der Alte von dem großen Fischzuge, den sie am nächsten Tage im Heimlichen Loch, im Pottwinkel oder sonstwo machen würden. Kaum ließ er Tonet aus den Augen, so war der auch schon verschwunden, um mit anderen Dorfbuben den Wald zu durchstreifen oder, neben den Stamm einer Pinie hingestreckt, stundenlang den Vögeln in den runden Baumkronen zu lauschen und sich an dem Wiegen der Schmetterlinge und der bronzefarbenen Hummeln über den Waldblumen zu ergötzen.
    Drohungen fruchteten nichts. Als der Großvater zu Prügeln seine Zuflucht nehmen wollte, brachte sich Tonet wie ein kleines wildes Tier in Sicherheit und suchte Steine zu seiner Verteidigung. Und der Alte ergab sich in sein Schicksal, wie ehedem den See wieder allein zu befahren.
    Sein ganzes Leben hatte er gearbeitet; auch sein Sohn war, wenn auch irregeleitet durch eine Liebe zur Landwirtschaft, ein fanatischer Arbeiter. Wem glich also nur dieser kleine Lump, der halbe Tage unbeweglich in der Sonne hocken konnte wie eine Kröte am Rande der Rieselgräben?
    Alles hatte sich in dieser Welt geändert, aus der Paloma nie herausgekommen war. Die Tradition ging unter. Aus den Söhnen der Kahnfischer wurden Sklaven der Erde: die Enkel hoben Steine auf gegen ihre Großväter; den See durchkreuzten mit Kohle beladene Barken; die Reisfelder dehnten sichnach allen Seiten aus, stießen, das Wasser verschluckend, in den See vor und fraßen große Lichtungen in den Wald. Oh, Herr des Himmels! Besser wäre es schon, zu sterben, als der Vernichtung einer Welt beizuwohnen, die er für ewig gehalten hatte.
    Alleinstehend im Kreise der Seinigen, ohne andere Zuneigung als die tiefe Liebe für sein Mütterchen, die Albufera, besichtigte und kontrollierte er sie jeden Tag.
    Man fällte keine Pinie im Walde, ohne daß er es nicht sofort – oft auch von der Mitte des Sees aus – bemerkt hätte. »Wieder eine! ...« Und die Lücke, die der gefällte Baum im dichten Zweigwerk der Bäume hinterließ, schmerzte ihn wie der Anblick eines Grabes. Er verfluchte die Pächter der Albufera, diese unersättlichen Diebe. Gewiß, auch die Leute von Palmar stahlen ihr Brennholz im Walde. Doch sie begnügten sich mit dem Gestrüpp, mit den entwurzelten, abgestorbenen Stämmen, während diese unsichtbaren Herren, deren Vorhandensein sich nur durch die Karabiner ihrer Flurhüter und allerlei faules Gewäsch von Gesetzen kundtat, mit größtem Gleichmut die Ahnen des Waldes niederschlugen, diese Giganten, die ihn als winzigen Knirps am Bug eines Kahnes gesehen hatten, die bereits riesige Stämme waren, als sein Vater, der erste Paloma, in einer wilden, fast unberührten Albufera mit einem Knüppel die am Ufer wimmelnden Schlangen erschlug. Tiere, sicher sympathischer als die heutigen Menschen!
    Vergrämt verkroch er sich in die abgelegensten Winkel des Sees ... solche, zu denen die Ausbeutungslust ihren Weg noch nicht gefunden hatte.
    Der Anblick eines alten Wasserrades regte ihn auf, und gerührt betrachtete er das schwarze, wurmstichige Holz, die verbeulten Röhren, trocken, voll Stroh, aus dem die Ratten, sobald sie sein Nahen gewahrten, truppweise davonstoben. Ruinen einer heute toten Albufera! Erinnerungen – wie er – an eine bessere Zeit.
    Wenn er ausruhen wollte, fuhr er zu Sanchas Pampa, zu den Lagunen mit der Gallertoberfläche und den hohen Binsen. Und vor den Augen die düstere grüne Landschaft, in der das Gestrüpp unter den Ringen des sagenhaften Ungetüms noch zu knacken schien, freute er sich bei dem Gedanken, daß noch etwas existierte, das der Gier der modernen Menschen entgangen war, unter denen sich, ach! auch sein Sohn befand.

 3.
    A ls Paloma auf die weitere Erziehung seines Enkels Verzicht leistete, atmete dieser auf.
    Der Bruch mit dem Großvater bedeutete die Rückkehr zu seiner alten Behaglichkeit. Kein Aufstehen mehr vor dem Morgengrauen, keine Arbeit mehr auf dem See, bis die Nacht einbrach! Der ganze Tag gehörte ihm in diesem Dorf, wo

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