Sumpffieber
es, solange die Sonne am Himmel stand, keine Männer gab außer dem Pfarrer, dem Lehrer und dem Zollwächter, der seinen martialischen Schnauzbart und seine rote Alkoholnase am Ufer spazierenführte.
Einige Male begleitete Tonet seinen Vater nach den Feldern von Saler. Aber beim Anblick der Männer, die sich unter den glühenden Sonnenstrahlen abmühten, die mit geschwollenen Beinen im Wasser arbeiteten, empörte sich seine Faulheit. Nein, nimmermehr würde er Reis bauen! Lieber Zollwächter werden, um an der Küste im Sande zu liegen, oder Gendarm mit gelbemLederzeug und weißem Kragen wie die, welche bisweilen, aus der fruchtbaren Huerta von Ruzafa kommend, im Dorf auftauchten.
Frei vom Joch der Arbeit, knüpfte Tonet mit seinen Freunden wieder an. Es gab da in den Nachbarhütten zwei besonders gute Kameraden: Neleta und Sangonera.
Die Mutter des Mädchens – einen Vater hatte es nicht – war eine alte Fischhändlerin, die gegen Mitternacht ihre für den Markt in Valencia bestimmten Körbe auf das reguläre Frachtboot, den sogenannten Aalwagen, lud. Wenn die Arme am Spätnachmittag ihre schlaffe, überquellende Fettleibigkeit nach Palmar zurückgeschleppt hatte, ganz erschöpft von der täglichen Fahrt, dem Feilschen und den Streitigkeiten in der Fischhalle, begab sie sich zur Ruhe, um mit den Sternen wiederaufzustehen, und da ihr dieses anormale Leben nicht erlaubte, sich um ihre Tochter zu bekümmern, wuchs Neleta ohne andere Fürsorge auf als die der Nachbarn. Am meisten nahm sich Tonets Mutter des Kindes an, gab ihm, so oft es kam, zu essen und behandelte es wie ein zweites Töchterchen. Doch das Mädchen war weniger gefügig als Borda und begleitete lieber Tonet auf seinen Streifzügen, als bei stundenlangem Stillsitzen die verschiedenen Knüpfarten der Netze zu erlernen.
Sangonera trug denselben Spitznamen wie sein Vater, der bekannteste Säufer der Albufera; ein altes Männchen, das der Alkohol vieler Jahre ausgelaugt zu haben schien. Seit er Witwer geworden war, hatte er sich dem Trunke ergeben, und die Leute, die ihn jede Sorte Alkohol mit wilder Gier schlürfen sahen, tauften ihn »Blutegel« – ein Beiname, den er nie wieder los wurde.
Ganze Wochen verschwand er aus Palmar. Dann und wann vernahm man, daß er durch die Dörfer des Festlandes vagabundierte, die reichen Bauern von Catarroja und Masanasa anbettelte und seine Räusche in ihren Strohmieten ausschlief. Blieb er einige Zeit in seinem Heimatdorfe, so kamen nachts die ausgelegten Fischnetze abhanden; die mit Aalen gefüllten Reusen leerten sich, bevor ihre Eigentümer sie einholten, und mehr als eine Frau schrie zum Himmel, wenn sie beim Zählen das Fehlen einer Ente feststellen mußte. Der Zollwächter hustete vernehmlich und beäugte Sangonera so aus der Nähe, als wollte er ihm seinen gewaltigen Schnurrbart in die Augen stoßen. Doch der Trunkenbold beteuerte seine Unschuld, wobei er aus Mangel an gewichtigeren Bürgen die Heiligen als Zeugen seiner Makellosigkeitanrief. Und um den schrecklichen Vertreter des Gesetzes zu beschwichtigen, den man oft genug an seiner Seite hatte zechen sehen, obgleich er außerhalb der Tavernen nie einen Freund wiedererkannte, unternahm Sangonera von neuem eine mehrwöchige Reise nach dem anderen Ufer der Albufera.
Der Sohn verweigerte bei diesen Ausflügen seine Begleitung. In einer Art Hundehütte geboren, wohin sich nie ein Stück Brot verirrte, war er von klein auf genötigt, sich wegen der Beschaffung seiner Nahrung den Kopf zu zerbrechen, und fand es praktischer, sich von seinem Vater möglichst fern zu halten, damit er den Ertrag seiner listigen Beutegänge nicht mit ihm zu teilen brauche.
Wenn die Fischer sich zu Tisch setzten, sahen sie an der Tür einen melancholischen Schatten immer wieder vorbeistreichen, der schließlich – den Kopf gesenkt und den Blick nach oben wie ein junger, angriffsbereiter Stier – an einem Türpfosten haftenblieb. Es war Sangonereta, [Diminutiv für Sangonera = Blutegelchen.] der gewissermaßen seinen Hunger mit einer heuchlerischen Miene von Scham und Schüchternheit wiederkäute, während in den Augen des kleinen Spitzbuben die Gier blitzte, sich alles, was er sah, anzueignen.
Diese Erscheinung verfehlte bei den Familien niemals ihren Eindruck. Armes Bürschchen! ... Und hier einen halb abgenagten Knochen, dort ein Stück Schlei oder eine Brotkruste im Flug ergatternd, füllte er bei diesem Wandern von Tür zu Tür sein Bäuchlein. Sah er die Dorfköter nach
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