Sumpffieber
wütendem Gebell allesamt nach einer Taverne rennen, so rannte Sangonereta gleichfalls – ahnte er doch, daß Jäger aus Valencia gekommen waren, um sich die berühmte Paella schmecken zu lassen; und wenn die an dem kleinen Tisch der Taverne sitzenden Fremden sich zwischen zwei Bissen mit Fußtritten des Drängens der zutraulichen Hunde erwehren mußten, erschien zu ihrer Hilfe plötzlich ein zerlumpter Bengel, dem es dank des Eifers, mit dem er die ganze Meute verjagte und dank seines bettelnden Lächelns schließlich gelang, sich zum Herrn der in der Pfanne verbliebenen Reste zu machen. Ein Zollwächter hatte ihm eine alte Mütze geschenkt, der Gemeindediener die Hose eines im Röhricht ertrunkenen Jägers. Seine Füße waren stets nackt, doch ebenso kräftig, wie seine Hände, die nie ein Ruder oder eine Stange angerührt hatten, schwach waren.
Schmutzig, hungrig, mit den Fingern jeden Augenblick unter die fettige Mütze fahrend, um sich wütend zu kratzen, genoß er bei dem kleinen Volk ein großes Ansehen. Tonet, der bei weitem Stärkere, hätte ihn mit Leichtigkeit verprügeln können, erkannte aber nichtsdestoweniger Sangoneras Überlegenheit an und befolgte alle seine Weisungen. Es war das Prestige dessen, der sich allein, ohne fremde Hilfe, zu erhalten vermag. Mit Bewunderung, in die sich ein gut Teil Neid mischte, sahen seine Kameraden, wie er vollkommen unabhängig, ohne jegliche Pflichten dahinlebte; und sie, die zu Hause für das geringste Vergehen ein paar derbe väterliche Ohrfeigen erhielten, fühlten sich mehr als Mann, wenn sie diesen Strolch begleiteten, der alles als ihm gehörig betrachtete, aus allem Nutzen für sich zu ziehen wußte und keinen vergessenen Gegenstand in den Booten am Kanal liegen sehen konnte, ohne sich seiner nicht umgehend zu bemächtigen. Den Bewohnern der Luft, die ihm leichter zur Beute fielen als diejenigen des Wassers, hatte er offenen Krieg erklärt. Mit sinnreichen Mitteln eigener Erfindung stellte er den Sperlingen nach, diesen »Moriscos«, die die Albufera verseuchen und von den Reisbauern wie die Pest gefürchtet werden. Doch seine beste Jagdzeit war der Sommer, wenn er die Fumarells, die kleinen Möwen des Sees, im Netz fing.
Palomas Enkel half ihm bei diesem Unternehmen. »Wir machen das Geschäft halb und halb«, sagte Tonet ernst, und die beiden lagen am Ufer stundenlang auf der Lauer, um rechtzeitig an dem Bindfaden zu ziehen. Hatten sie einen guten Vorrat beisammen, so nahm Sangonera – ein kühner Reisender – den Weg nach Valencia, auf der Schulter das Netz, in dem die weißbrüstigen Fumarells verzweifelt mit den dunklen Flügeln schlugen. Sein gellender Ruf: »Vogelhändler! Vogelhändler!« in den Straßen unweit des Fischmarktes rief schnell die Stadtjungen herbei, die all die kleinen Möwen kauften und sie dann mit einer Schnur am Bein an den Straßenecken fliegen ließen.
Bei der Rückkehr gab es Hader zwischen den Teilhabern und Abbruch der geschäftlichen Beziehungen. Denn Sangonera verweigerte jede Abrechnung. Tonet mochte seinen Freund noch so sehr verprügeln – unmöglich, aus dem Spitzbuben auch nur einen Maravedi herauszuholen. Trotz allem suchte Tonet, beherrscht durch die Verschlagenheit des kleinen Gauners, ihn doch immer wieder in seiner zerfallenen, türlosen Hütte auf, wo er während der meisten Monate die Nächte allein verbrachte.
Als Sangonera ins zwölfte Jahr ging, ließ er nach und nach den Verkehr mit den alten Kumpanen einschlafen. Sein Parasiteninstinkt riet ihm, die Kirche zu frequentieren als sichersten Weg, sich Eingang ins Pfarrhaus zu verschaffen. In einem Dorfe wie Palmar war der Cura ebenso arm wie der erste beste Fischer, doch Sangonera gelüstete es nach dem Messewein, den er in der Taverne viel hatte loben hören. Überdies aber kam ihm an den Sommertagen, wenn der See in der Sonnenglut zu kochen schien, die kleine Kirche mit ihrem durch die grünen Fenster sickernden Dämmerlicht, den kalkgeweißten Wänden und dem roten Ziegelsteinpflaster, das die Feuchtigkeit des sumpfigen Bodens ausdünstete, wie ein verzaubertes Paradies vor.
»Ah, dieser Taugenichts!« meinte Paloma, der den wasserscheuen Jungen nicht leiden mochte. »Da hat er sich ja den richtigen Beruf erwählt!«
Begab sich der Cura nach Valencia, so trug ihm Sangonera das in ein großes Taschentuch gehüllte Wäschebündel zum Fährboot und lief noch eine Zeitlang am Ufer mit, um sich mit einer Rührseligkeit zu verabschieden, als sollte er ihn
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