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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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nie wiedersehen. Der Pfarrköchin ging er flink zur Hand, sammelte Brennholz im Walde, holte Trinkwasser aus den Quellen, die vom Seeboden aufsprudelten, und fühlte die Schauer einer naschhaften Katze, wenn er ganz allein in dem stillen Zimmerchen, das als Sakristei diente, die Reste von des Pfarrers Tisch vertilgen konnte. Frühmorgens aber, am Seil der kleinen Turmglocke, die das Dorf weckte, überkam ihn der ganze Stolz seines Standes. Ja sogar die Schläge, mit denen der Herr Pfarrer seinen Fleiß anfeuerte, dünkten ihn Merkmale einer Auszeichnung, die ihn über seine Kameraden emporhob.
    Bisweilen allerdings wich das Streben, seine Tage im Schatten der Kirche zu verbringen, einer gewissen Sehnsucht nach dem früheren Bummelleben. Dann suchte er Neleta und Tonet auf, und wieder streiften sie an den Kanälen entlang bis zum Anfang der Dehesa, die seinen Gefährten das Ende der Welt bedeutete.
    An einem Herbstnachmittage beauftragte sie Tonets Mutter, ihrer lärmenden Spiele in der Hütte müde, am Walde Brennholz für den Winter zu sammeln.
    Willig setzten sich die drei Kinder in Marsch. Die Dehesa blühte und duftete wie ein Garten. Von einer fast sommerlichen Sonne geliebkost, standen die Büsche voll von Blüten, über denen summende Insekten wie goldene Knöpfe aufblitzten. Die hundertjährigen Pinien neigten sich mit majestätischemRauschen, und unter ihren Kuppeln lag ein süßes Zwielicht, ähnlich dem einer riesengroßen Kathedrale. Manchmal flimmerte zwischen zwei Stämmen ein Sonnenstrahl auf, als bräche er durch die Laden eines Fensters.
    Tonets und Neletas bemächtigte sich jedesmal, wenn sie in den Wald eindrangen, dieselbe Erregung. Sie hatten Angst, ohne zu wissen, warum. Waren sie nicht in dem Zauberschloß eines unsichtbaren Riesen, der sich von einem Moment zum anderen zeigen konnte?
    Sie folgten den gewundenen Pfaden, bald verborgen unter den dichten, sich über ihren Köpfen wiegenden Büschen, bald aufwärtssteigend zu einer Düne, von deren Höhe sie durch die Säulenreihen der Bäume den ungeheuren Spiegel des Sees erblickten, mit kleinen Flecken besät – Fischerbarken, nicht größer als Fliegen.
    Die Füße der Kinder glitten auf dem feuchten Humusboden aus. Beim Geräusch ihrer Schritte, bei einem leisen Ausruf erbebte das Gebüsch unter dem tollen Lauf unsichtbarer Tiere. Es waren Kaninchen, die davonjagten. Und verschwommen ertönten aus weiter Ferne die Glocken der am Meere weidenden Herden.
    Die Stille und der Duft dieses heiteren Nachmittags machte die Kinder trunken. Wenn sie sonst den Wald an Wintertagen betraten, bedrückte das kahle Buschwerk, der kalte, vom Meere blasende Ostwind, der ihre Hände erstarren ließ, der ganze traurige Anblick der Dehesa im grauen Licht eines bedeckten, trüben Himmels sie derart, daß sie eiligst am Waldesrande ihr Reisigbündel zusammenlasen, um sofort wieder nach Palmar zu flüchten.
    Doch an diesem Tage gingen sie vertrauensvoll vorwärts mit dem brennenden Verlangen, den ganzen Wald zu durchstreifen, und kämen sie auch bis zum Ende der Welt ...
    Sie schritten von Überraschung zu Überraschung. In dem instinktiven Wunsch der Frau, sich zu schmücken, brach Neleta, statt Holz zu sammeln, Myrtenzweige für ihr loses Haar. Dann band sie aus Pfefferminz und anderen blütenbedeckten Kräutern, deren durchdringender Geruch ihnen die Sinne nahm, Sträuße für ihre Begleiter, während Tonet ihr einen Kranz aus Glockenblumen aufs Haar setzte.
    »Neleta«, lachte er, »jetzt siehst du just so aus wie die gemalten Engelköpfchen am Altar unserer Kirche!«
    Sangonera aber schnüffelte gierig nach etwas Nützlichem, etwas Brauchbarem in dieser leuchtenden, duftenden Natur. Er kaute die wilden, rotenVogelkirschen, und mit einer Kraft, die ihm nur der leere Magen verleihen konnte, riß er kleine Palmen aus der Erde, um aus ihren fleischigen Hüllen die zarten süßen Blätter auszuschälen.
    Auf den Lichtungen, tiefgelegenen Plätzen, wo die winterliche Überschwemmung keine Bäume wachsen ließ, gaukelten vielfarbene Schmetterlinge. Libellen, wie eine Fee angetan, mit silbernen Flügeln, smaragdenem Rücken und goldener Brust lockten die Kinder kreuz und quer, wenngleich Dornen und die scharfen Schilfblätter in ihre nackten Füße stachen. Begeistert von der Schönheit des Waldes stürmten sie weiter. Auf den Fußpfaden entdeckten sie prächtige bunte Raupen – zu Leben erwachte Blüten –, die sich wellenförmig weiterbewegten. Staunend nahmen sie

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