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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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ihre Wangen – vielleicht eine Fledermaus; und diese Berührung, die sie schaudern ließ, riß sie aus ihrer lähmenden Untätigkeit. In irrsinniger Hast liefen sie weiter, fielen, verwickelten sich in Ranken, stießen sich an Bäumen – bebend vor den Geräuschen, die ihre Flucht zu hetzen schienen. Beide litten unter demselben Gedanken, verbargen ihn aber instinktiv vor dem andern, um die Angst nicht zu vergrößern: die Erinnerung an Sancha spukte in ihren Köpfen. Sämtliche Legenden, die sie abends, geborgen am sicheren Feuer der Hütte, hatten erzählen hören, lebten in ihrer Phantasie wieder auf, und wenn sie mit ihren Händen gegen einen Stamm streiften, glaubten sie die schuppige, kühle Haut riesiger Schlangen zu berühren. Das Geschrei der Wasserhühner im fernen Röhricht des Sees klang ihnen wie der klagende Ruf von Menschen, die man mordete. Und dazu weckte ihr wahnwitziger Lauf quer durchs Gebüsch in der dunklen Moos- und Krautdecke allerlei geheime Wesen, die ebenfalls unter dem Rascheln der trockenen Blätter flohen.
    So kamen sie zu einer großen Lichtung, ahnungslos, an welcher Stelle des endlosen Waldes sie sich befanden. Über ihnen breitete sich gleich einer ungeheuren, über die schwarzen Baummassen gespannten Leinwand der tiefblaue, lichtgesprenkelte Himmel aus.
    Die beiden Kinder machten halt auf dieser hellen, ruhigen Insel. Ihnen mangelte die Kraft weiterzugehen, und in quälender Furcht vor dem unergründlichen Wald, der sich ringsum wie eine Woge von Schatten bewegte, setzten sie sich ins Gras – engumschlungen, als würde durch den Kontakt ihrer Körper ihre Zuversicht gestärkt. Neleta weinte nicht mehr; von Schmerz und Müdigkeit überwältigt, lehnte sie den Kopf an die Schulter ihres Freundes, während Tonet nach allen Seiten spähte. Mehr als dem Düster im Walde mißtraute er dieser dämmerigen Helle, in der er von einem Moment zum anderen die Silhouette eines wilden Tieres zu sehen glaubte. Der Ruf des Kuckucks zerriß das Schweigen; die Frösche in einem nahen Pfuhl, die bei ihrem Kommen verstummt waren, nahmen ihre Melodie wieder auf;ein Gewimmel dunkler Pünktchen, summten beharrliche, unerträgliche Moskitos um die beiden Köpfchen.
    Allmählich gewannen die Kinder ihre Ruhe zurück. Der Platz war gar nicht so schlecht ... konnten sie die Nacht nicht hier verbringen? ... Die Wärme ihrer aneinandergepreßten Körper gab ihnen neues Leben; sie vergaßen die Furcht und die wilde Flucht durch den Wald.
    Über den Pinien, meerwärts, begann ein weißlicher Schimmer den Himmel zu bleichen. Die Sterne schienen zu verlöschen, in einer Woge von Milch zu ertrinken. Erregt durch das Geheimnis, das der Wald verhüllte, verfolgten die beiden mit innerer Unruhe diese Erscheinung – nicht anders, als müßte jemand, in einen Nimbus von Licht gehüllt, zu ihrer Hilfe herbeifliegen ... Die Zweige der Pinien hoben sich mit ihrem Nadelgespinst ab wie schwarze Federzeichnungen auf einem glänzenden Grunde. Etwas Blitzendes tauchte nach und nach über den Baumkronen auf. Zuerst war es eine gebogene Linie, ähnlich einer Augenbraue aus Silber; dann ein blendender Halbkreis, und endlich ein enormes Gesicht in der weichen Farbe des Honigs, dessen leuchtendes Haar die benachbarten Sterne umschwebte. Der Mond schien den beiden Kindern zuzulächeln, die ihn mit der Verehrung kleiner Wilder betrachteten.
    Bei dem Erscheinen dieses pausbäckigen Antlitzes veränderte sich der Wald. Die Binsen der Lichtung blitzten wie metallene Stäbe; am Fuße eines jeden Baumes lag ein unruhiger, schwarzer Fleck, und der Busch schien zu wachsen, sich zu verdoppeln mit den Schattenbäumen, die sich auf dem beleuchteten Boden ausbreiteten. Jetzt begannen auch die Buxquerots, die scheuen Nachtigallen des Sees, denen die Freiheit über alles geht, die sterben, sobald der Käfig sie umschließt, auf allen Seiten der Lichtung zu singen, und sogar die Moskitos summten sanftmütiger in dem lichtdurchtränkten Raum.
    Die Kinder fingen an, ihr Abenteuer angenehm zu finden.
    Neleta fühlte keine Schmerzen mehr am Fuß und sprach leise ins Ohr ihres Gefährten. Ihr frühreifer Instinkt des Weibes, ihre List – die List eines verlassenen, vagabundierenden Kätzchens – machten sie Tonet überlegen.
    »Laß uns im Walde bleiben, ja? Wenn wir morgen früh ins Dorf zurückkehren, denken wir uns etwas aus, um unser Ausbleiben zu erklären. Natürlich muß Sangonera der Schuldige sein. Willst du? ... Was sehen wir hier nicht

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