Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition)
Höhlenkluft in den Felsen.
Als er sich aber der Felsspalte nähert, sieht er gestürzt den Stein, der deckte das Grab.
Da rennt er los zur Öffnung und bückt sich hinein und späht in die Kluft.
Und sieht nichts.
Und erneut bückt er sich, sieht hinein. Und kriecht dann hinein, mit Händen zu greifen.
Und greift nichts.
Und seine Hände durchtasten hineinwärts, bis er’s begreift: Hier ist nichts. Er ist nicht mehr hier.
Da drängt er zurück aus dem Grab, denn ihn schaudert.
Jesus aber bleibt stehen vor dem Grab.
Steht in Entsetzen.
Plötzlich wendet er sich. Blickt sich um, als beobachte ihn einer.
Ja, als habe der, der hinwegstieß den Stein, soeben verlassen den Ort. Und als sei ihm noch nachzurufen.
Freudig entsetzt blickt er im Kreis.
Eilig steigt er hinauf, erklimmt die Felsen, über die Felsspalte hinaus. Oben zu stehen, zu spähen in die Runde nach ihm, der verlassen das Grab.
Und enttäuscht erst, dann aber wieder wie irrewerdend vor Freude, erspäht er auch fernhin keine Gestalt.
Da stieg Jesus hinab und kniete hin an den Ort. Und kniend gebückt vor der Öffnung der Kluft betet er stumm.
Und er beugt hinabwärts die Stirn, bis sie Sand berührt. Und als sie Sand berührte, die Stirn, lag Jesus, wie Joseph im Grab war gelegen.
Und da Jesus endete sein Gebet, fühlt seine Hand, als sie vom Boden sich abzog: das Seil.
Es war aber der andere Teil jenes Seils, durch das Jesus war gebunden worden von Joseph und mit dem sie später umwanden das Tuch, in das sie gebettet den Toten.
Und Jesus hob’s auf und fand die durchbrannten Enden der Fasern, wo er durchsengt hatte das Seil an der Glut. Und strich übers Rauh-Gehärtete hin mit den Fingern der Hand und schwärzte sie daran.
Und er nahm das Stück Seil und flocht es sich um den Gurt, den er trug.
Da, unter Anstrengung, stemmte Jesus aufwärts die Felsplatte und rückte sie zurück an die Stelle, zu decken den Eingang zur Kluft.
Joseph aber hatte all das gesehen. Und saß hinter höher gelegenem Felsen, der Kluft gegenüber.
Und sah aufstemmen Jesus die Felsplatte abermals, sie hinüberzurücken und zu verschließen das Grab.
Und verstand’s nicht. War es doch leer.
Und Joseph dachte: Was beabsichtigt er? Soll niemand bemerken, daß es leer ist, das Grab? Soll nur er es wissen? Und will nun hüten solches Wissen? Und warum hob er auf das Seil, flocht es um seinen Gurt, als hätt ich es ihm belassen zum Zeichen? Sprach er nicht noch vor Tagen zu mir, er wünsche sich ein Zeichen vereinbart, das hinausreiche noch über den Tod des andern? Und glaubt nun wohl, das Seil sei mein Zeichen an ihn? Und über den Tod hinaus? Denn er bindet sich’s um, als sollt ich den Sohn doch zu mir ziehen im Dunkeln, zu schließen den Bruch, der entstanden.
Da sieht Joseph den Jesus, wie der legen will den Stein auf den Eingang.
Die Platte aber entgleitet den Händen. Hart schlägt sie auf an der Felswand.
Und Joseph erkennt, was Jesus nah sieht. Denn ein Teil der oberen Schicht der Felsplatte löst sich ab durch den Aufschlag.
Und die Schicht bricht herab und schlägt auf, liegt in Scherben am Fuße des Eingangs.
Da sieht Joseph, wie Jesu Hand abfährt die Stelle, aus der herabbrach die Schicht. Und waren gelöscht die Rillen und Zeichen, nach deren Spur sie noch suchte, die Hand, Joseph sah’s.
Aber daß sie dort suchte, die Hand, Jesu Hand, war Joseph Zeichen, daß sie eingeritzt waren wirklich von ihm, seinem Sohn. Daß sie erfahrbar in Rillen zu lesen gewesen in jener Nacht, als Josephs Hand sie entdeckte und las die vier eingegrabenen Worte. Wer aber hatte geheißen den Sohn, einzuschlagen dem Felsen solches Geheiß? Denn es war ja, als hieße der Sohn den Toten nach drei Tagen auferstehen und leben.
Und Joseph dachte: Warum aber hat mein Sohn, als er leer fand das Grab, nicht gerufen nach mir? Denn er rief nicht hinaus nach mir ›Vater, wo bist du?‹. Glaubt er, ich sei herausgekrochen als Geist? Er sähe mich nicht, wenn ich vor ihm stünde? Hörte mich nicht, wenn ich riefe nach ihm?
Da wollte Joseph hervortreten, hinterm Felsen hervor. Und schreien nach Jesus.
Durchschreien wollte er, was Joseph in Ketten hielt hier.
Wollte schreien den Schrei, der alles zurückholt, alles aufdeckt und wieder lebendig macht.
Und also trat Joseph hinter dem Felsen hervor und zeigte sich und schrie.
Aber – kein Laut kam aus ihm. Der Mund, weit geöffnet zum Schrei, blieb stumm.
Da stand er, von Grauen gepackt. Regungslos blickte Joseph
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