Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
Wolke«, sagte er und strich sich mit der freien Hand das verschwitzte Haar aus der Stirn, während er mit der anderen den Klodeckel hielt. »Und jetzt ist sie wieder hervorgekommen.«
Er ließ sich diese Vorstellung genau durch den Kopf gehen, aber sie hatte nichts von Wunschdenken an sich. Ihm stand alles klar vor Augen: Durch den winzigen Riss am Boden des Sammeltanks drang Sonnenlicht. Vielleicht war es auch ein etwas größerer Spalt. Wenn er da reinkriechen und den Spalt noch weiter verbreitern könnte, diese leuchtende Öffnung, die in die Außenwelt führte …
Mach dir keine allzu großen Hoffnungen.
Und wenn er dorthin gelangen wollte, musste er …
Unmöglich, dachte er. Wenn du vorhast, dich durch diese Öffnung in den Sammeltank reinzuquetschen – wie Alice in ein kackbraunes Wunderland -, dann bist du auf dem Holzweg. Wenn du noch das magere Kerlchen wärst, das du vor fünfunddreißig Jahren gewesen bist, dann vielleicht. Aber heute?
Wohl wahr. Allerdings war er noch immer schlank, was er sicherlich seinen täglichen Radtouren zu verdanken hatte. Er glaubte wirklich, sich durch das Loch unter der Klobrille winden zu können. So schwer war das vielleicht gar nicht.
Aber wie wollte er da wieder rauskommen?
Nun ja, wenn er mit diesem Lichtsaum etwas anstellen konnte … dann konnte er vielleicht auf anderem Weg hinauskommen, als er hereingekommen war.
»Immer vorausgesetzt, ich komm da überhaupt rein«, sagte er. Plötzlich schwirrten ihm lauter Schmetterlinge im Magen herum, und zum ersten Mal, seit er im wunderschönen Durkin Grove Village war, verspürte er den Drang, sich die Finger in den Hals zu stecken. Dann würde er bestimmt klarer denken können und …
»Nein«, sagte er und zerrte mit der linken Hand am Klodeckel und an der Brille. Die Scharniere knirschten, gaben aber nicht nach. Er packte mit beiden Händen zu. Das Haar fiel ihm wieder in die Stirn, und er warf ungeduldig den Kopf in den Nacken. Und noch einmal mit aller Kraft. Deckel und Brille leisteten ein paar Sekunden Widerstand und rissen dann ab. Einer der beiden Haltestifte fiel in den Tank. Der andere, in der Mitte zerbrochen, rollte über die Tür, auf der Curtis kniete.
Curtis warf Deckel und Brille beiseite und blickte in den Tank, beide Hände gegen die Bank gestemmt. Der Gifthauch, der ihm entgegenwehte, ließ ihn angewidert zurückzucken. Er hatte geglaubt, er hätte sich an den Geruch gewöhnt (oder wäre zumindest abgestumpft), aber das war nicht der Fall, zumindest nicht so nahe an der Quelle. Erneut fragte er sich, wann das verfluchte Ding das letzte Mal ausgepumpt worden war.
Hat doch auch etwas Gutes – bestimmt ist es schon lange nicht mehr benutzt worden.
Vielleicht, wahrscheinlich, aber Curtis war sich nicht sicher, ob das die Sache besser machte. Da drunten war immer noch ein Haufen Zeug – ein Haufen Scheiße, die in dem schwamm, was von dem ursprünglich keimfreien Wasser übrig war. Das Licht mochte schwach sein, aber so viel konnte er erkennen. Und dann war da noch die Frage, wie er da wieder rauskam. Wenn er sich in die eine Richtung durchquetschen konnte, sollte ihm das auch in die andere gelingen – allerdings konnte er sich nur zu gut vorstellen, wie er dann aussehen würde, ein stinkendes Geschöpf, aus dem Schlamm geboren, oder wohl eher aus der Scheiße.
Trotzdem:Was blieb ihm anderes übrig?
Nun ja. Er konnte hier sitzen und sich einreden, dass ihn schon jemand retten kommen würde. Die Kavallerie, wie am Schluss eines alten Westerns. Andererseits war die Wahrscheinlichkeit größer, dass das Arschloch zurückkam, um sich davon zu überzeugen, dass er … wie hatte er es ausgedrückt? Dass er sich wohlfühlte. Irgendetwas in der Art.
Das gab den Ausschlag. Er musterte das Loch in der Bank, das dunkle Loch, aus dem ihm der widerliche Gestank entgegenwaberte, das dunkle Loch mit dem Lichtsaum, auf den sich seine ganze Hoffnung richtete. Eine Hoffnung, die so schwach war wie das Licht selbst. Er überlegte sich alles ganz genau. Erst der rechte Arm, dann der Kopf. Den linken Arm an den Körper gepresst, bis er sich bis zur Taille hineingewunden hatte. Dann, sobald er den linken frei bekam …
Aber was war, wenn ihm das nicht gelang? Er sah sich schon feststecken, den rechten Arm im Tank, den linken an die Hüfte gepresst, während sein Bauch das Loch verstopfte, keine Luft mehr durchließ. Und so würde er dann verrecken, während er mit der Hand in der Scheiße wühlte und langsam
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